Das Alte Reich und der Deutsche Bund>

Vormärz bis 1848> 

Revlolution 1848 und>  1849 bis zum Verbot politischer Vereine 1851>

Zeittafel   I>

Industrielle Entwicklungen und die Zeit bis zur Reichsgründung 1871>

Das kaiserliche Deutschland bis Kaiser Wilhelm II.>

Zeittafel  II>

Das Wilhelminische Preußen nach dem 15. Juni 1888>

Die Vorboten zum Ersten Weltkrieg bis zur Abdankung Wilhelm II.>

Zeittafel III>

Die Weimarer Republik in der zeitlichen Gliederung>

Von 1918/19 bis 1923>

Von 1924 bis 1929>

Von 1930 bis 1932>

   

Zeittafel IV>

Das Ende der Weimarer Republik unter dem Einfluss der  nationalsozialistische Machtergreifung 1932 bis zum 30. Januar 1933>

Zeittafel  V>

Rückblick>

   

   

   


  

 

- Das Alte Reich und der Deutsche Bund -

Ein Blick auf die Karte Europas zeigt uns in der Zeit vor der Französischen Revolution eine Vielfalt an Territorien des Reiches als selbstständige  Herrschaftsgebiete. Ein gemein- sames politisches Handeln schien schier unmöglich, es fehlte den verstreuten Staaten eine territoriale Geschlossenheit, um eine wirkungsvolle Regierungsgewalt auszuüben. Ein umfangreiches und einigermaßen ge- schlossenes Herrschaftsgebiet besaßen allein die Großmächte Österreich und Preußen.

Der so organisierte und amtierende Reichstag war eine Versammlung von Gesandten der drei Reichsstände - Kurfürsten, Fürsten, Reichsstädte - die getrennt nach Konfessionen und nach Ständen über die Belange des Reiches beschlossen. Den nominellen Vorsitz führte der Kaiser, der jedoch an die Beschlüsse des Reichstags gebunden war.

Anstehende Verhandlungen zeigten sich schleppend, weil die Gesandten stets die Anordnungen ihrer Landesherren einholen mussten. Es zeigte sich auch, dass sich die Interessen der einzelnen Staaten und Stände nur selten auf eine gemeinsame Akzep- tanz bringen ließ. Diese Uneinigkeit schwächte die reale Bedeutung des Reichstags zu- sehends, die Großmächte Österreich und Preußen trafen somit immer mehr Entschei- dungen über das Schicksal des auf-gesplitterten Reiches.

Die Schwäche des Reiches zeigte sich in den fehlenden Reichsinstitutionen, es fehlten die Exekutivbehörden, es gab keine einheitliche Reichssteuer und kein ständiges Reichsheer. Die rechtliche Reichseinheit wurde durch die beiden obersten Reichsgerichte verkörpert: den Reichshofrat in der Wiener Kaiserresidenz und das Reichskammergericht in Wetzlar.

Die kaiserliche Post, die Reichspost, erblich in den Händen der Fürsten Thurn und Taxis, besorgten sowohl den Personen- und Post- verkehr zuverlässig. Preußen und Sachsen aber entzogen sich der Bindung an die Reichs- post und errichteten ein eigenes Postwesen auf ihren Gebieten.

Obwohl das Reich in seiner Gesamtheit fast handlungsunfähig war, wurde es doch nicht als absterbende Institution betrachtet. Beson- ders die kleinen und schwachen Reichsglieder sahen darin einen Schutz gegen die Willkür der Großen.

Deutschland steckte noch in seiner wirtschaft- lichen und sozialen Entwicklung fast ungebrochen noch in mittelalterlicher Wirtschafts- und Sozialfassung; eine streng gegliederte Gesellschaft nach Ständen, Bauerntum, Bürgerstand und Adel. Die einzelnen Stände sind noch einmal untergliedert in genau abgegrenzte soziale Gruppen: Grafen, Reichsritter und Landadel, Patrizier und Zunftbürger, Meister und Gesellen, freie, halbfreie und leibeigene Bauern. Die überwiegende Anzahl der Bevölkerung des Reiches lebte auf dem Lande vom landwirtschaftlichen Erwerb, dort herrschten noch fast uneingeschränkt die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse von Guts-, Grund- und Gerichtsherrschaft, die dem Adel die einflussreichsten Positionen in der Gesellschaft sicherten. Die Bauern waren dem Grundherrn abgabepflichtig, das komplizierte System von Geld- und Naturalabgaben hatte sich nach den  traditionellen Regelungen des Mittelalters erhalten.

In den Städten dominierte das in Zünften organisierte Handwerk, das auf seine Privilegien beharrte und hemmte damit die freie Entfaltung des wirtschaftlichen Lebens. Zugleich behinderte es die territoriale Zersplitterung den Warentausch. Ein neu organisiertes Manufaktur- und Handelsbürgertum konnte sich nur in den Ansätzen neben dem alten Stadtbürgertum, dem Patriziat, und der in Zünften organisierte Handwerkerschaft, entwickeln.

In den meisten kleinen Städten des Reiches haben die Zünfte ihre Macht noch nicht verloren.

Die Zunftordnung verhinderte den freien Wett- bewerb und damit eine Voraussetzung einer weiteren wirtschaftlichen Entfaltung.

Jeder Zunftmeister darf nur eine begrenzte Menge von Rohstoffen mit einer bestimten Anzahl von Gesellen verarbeiten. Besonders in den Residenzstädten mit ihrem erhöhten Verbrauch an Luxusgegenständen hat sich nach dem strengen Zunftprinzip eine geradezu groteske Form der Arbeitsteilung herausgebil- det: Strumpfwickler; Knopfmacher; Gürtler; uvm, sie alle sind spezialisiert auf ein bestimmtes Produkt.  Zudem gab es im ganzen Reich unterschiedliche Maß- und Münzsysteme.

Damit reglementierte der dirigistische Staat das Wirtschaftsleben. Das Handelsbürgertum verlangte die Beseitigung dieser administra- tiven Fesseln.

Zum Träger der aufklärenden Ideen wurde daher die an Höfen und Universitäten wirkende Beamtenschaft. Sie repräsentieren das neue, noch kaum vorhandene Bürgertum.

Im lokalen Umkreis war die Versorgung von lebenswichtigen Gütern möglich, über größere Entfernungen wird fast ausschließlich mit Gütern des gehobenen Bedarfs gehandelt. Die territoriale Zersplitterung und ein kompliziertes System verschiedener Zölle und Abgaben behinderten den freien Warenverkehr.

Obgleich die städtische Zunftordnung eine Vergrößerung der Werkstätten behinderte und die Agrarverfassung den freien Zustrom von Arbeitern vom flachen Land unmöglich machte, setzt sich die manufakturmäßige Produktion am Ende des 18. Jahrhundert allmählich durch. Der nächste Schritt war die Technisierung der Produktion, an die Stelle des für einen Arbeitsvorgang ausgebildeten Arbeiters trat allmählich die Maschine.

Die   französische   Revolution   führte   auch  in Deutschland  zu   tiefgreifenden  Veränderungen

 

in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die revolutionären Ereignisse im Jahre 1789 in Frankreich, vor allem die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung und der Sturm des Pariser Volkes auf die Bastille, das Symbol des Despotismus, fand auch im deutschen Bürgertum ein lebhaftes Echo.

1793, im Schutz der französischen Militär-herrschaft, errichteten deutsche Jakobiner für kurze Zeit die erste Republik auf deutschem Boden. Die Sympathien für die Revolution schwand aber bald wegen ihrer Radikali- sierung und der drückenden Last der Besatzungskosten.

Unter Napoleon wurde die territoriale Ordnung Deutschlands von Grund auf umgestaltet. Die geistlichen Territorien wurden säkularisiert, die Reichsstädte und zahlreiche reichsunmittel- bare Fürsten und Adelige verloren ihre Selbständigkeit. Wenige Fürsten, die sich zu Napoleon bekannten, erhielten die Souve- ränität über diese Gebiete. Die auf diese Weise neugebildeten süd- und westdeutschen Staaten verliessen den Reichsverband und schlossen sich unter dem Protektorat Napoleons im Rheinbund zusammen.

Die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. 1806 besiegelte die bereits vorausgegangene Auflösung des 'Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation'. Unter dem Druck und nach dem Vorbild Frankreichs wurden in den Staaten des Rheinbundes umfangreiche Verwaltungs- und Sozialreformen eingeleitet, mit dem Ziel eine egalitäre Gesellschaft zu schaffen, die zunächst politisch rechtlos blieb. Adel und Kirche verloren ihre Privilegien.

Eine neue zentralistische Verwaltung ermög- lichte auch im süddeutschen Raum die Entstehung moderner Staaten zur Schaffung wirtschaftlichen Aufschwungs.

Mit der Einführung der berühmten Gesetzes- kodifikation, des 'Codex Napoléon'. Wie im Königreich Westphalen und anderen Rhein- bundstaaten, wurden die Grundprinzipien der Französischen Revolution auch in Deutschland wirksam: - Freiheit und Sicherheit der Person - Gleichheit vor dem Gesetz - Beseitigung der Standesunterschiede - Sicherheit und Unverletzlichkeit des Eigentums - Trennung von Staat und Kirche - Trennung der Justiz von der Verwaltung. Der 'Codex Napoléon' kennt keine Leibeigenschaft und keine Unterschiede zwischen Adel und Bürgerstand; er beseitigte die Abhängigkeit der Bauern von ihren Gutsherren und die Privilegien der alten Feudalherren.

Die Regelungen förderten zwar die soziale Mobilität im Bürgertum, ihre praktischen Auswirkungen blieben jedoch zunächst gering.

Die wirtschaftlichen Belastungen in den Rheinbundstaaten verschlechterten sich zusehends durch die hohen materiellen Forderungen der napoleonischen Herrscher.

1806 begann man in Preußen  nach der Niederlage  gegen die napoleonische Armee mit inneren Reformen. Kaiser Friedrich Wilhelm III. erhob die Devise: 'Der preußische Staat solle durch geistige Kräfte ersetzen, was er an materiellen verloren hat'.

Freiherr von Stein war zum Minister erhoben, nachdem er in seiner Denkschrift von 1807 die Neugestaltung von Staat und Gesellschaft nicht durch revolutionären Umsturz, sondern durch soziale Reformen gefordert hatte. Sein Ziel war es, den Staat auf eine ganz neue soziale Grundlage zu stellen, die auf Freiheit und Gleichheit gegründete bürgerliche Gesellschaft - somit nach dem Vorbild des 'Codex Napoléon'. Inhaltliche Gestaltung der angestrebten Reform, so die Denkschrift des Freiherr von Stein, sei die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinn - eine Hinführung zu einem Gleichklang einer geschlossenen Nation in Ansichten und Bedürfnisse zu Staatsbehörden - die Wiederbelebung zu einer Selbständigkeit und National-Ehre.

Diese Denkschrift wurde zum Manifest der preußischen Reformer, die zugleich mit der Neuformung des preußischen Staates die Befreiung und nationale Einigung Deutschlands anstrebte. Die auf das Bürger- tum ausgerichteten Reformen schufen Auftrieb in Politik, Wirtschaft und Geistesleben; für das Bauerntum entstand Selbständigkeit auf eigener Scholle; in den Städten wurde die Gewebefreiheit eingeführt und der Zunftzwang aufgehoben. Mit der Reformierung des Schul- und Universitätswesens versuchte man für Gleichheit in den Bildungschanchen zu sorgen. Am deutlichsten war der Übergang vom Obrigkeitsstaat zum Bürgerstaat in der Reformierung des Heereswesens. Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht galt fortan der Grundsatz gleicher Rechte und gleicher Pflichten.

Nach und nach erwachte aber der Widerstand gegen die napoleonische Fremdherrschaft in den deutschen Ländern. Immer drückender wurden die Lasten der französischen Besatzung.

Philosophen und Dichter bekannten sich zur 'deutschen Nation' - Aufhebung der Kleinstaaterei - Berufung auf gemeinsame Kultur, Sprache und Geschichte - Berufung auf ein einiges freies Deutschland.

1813 drängte die nationale Bewegung in Preußen  den König  sich mit dem Zaren zu verbünden und zum Kampf gegen Napoleon aufzurufen.

1813, in der „Völkerschlacht zu Leipzig" fallen Teile der Rheinbundtruppen von Napoleon ab und folgten den preußischen Beispiel.

Mit dem Sieg der vereinten preußischen, österreichischen und russischen Truppen begann  das  Ende der   napoleonischen  Herr-

 

schaft über Europa. Nach dem Sieg über Napoleon erhielt Europa eine neue Ordnung, die Frieden und Stabilität garantieren sollten.

1814 bis 1815 tagten in Wien, zum Wiener Kongress, die verbündeten Großmächte Rußland, Großbritannien, Österreich und Preußen mit den Vertretern Frankreichs und den Unterhändlern verschiedener Königreiche und Fürstentümer, um über die politische und territoriale Neuordnung Europas zu beraten. Die in den Befreiungskriegen erwachte Nationalbewegung erwartete von dem Wiener Kongress die Überwindung der Zersplitterung Deutschlands und den Abbau der absoluten Herrschaft der Fürsten.

In verschiedenen Denkschriften hatten deutsche Staatsmänner unter Berufung auf den Willen des Volkes eine zeitgemäße Erneuerung des alten Reiches, einen territorial engeren Bundesstaat und die Beteiligung des Bürgers an der politischen Willensbildung gefordert.

Auf dem Wiener Kongress wurde von den Siegermächten akribisch über eine gleich-mäßige Verteilung geachtet, ein ausgewo- genes System von fünf Großmächten ge- schaffen, das den Frieden über fünf Jahrzehnte sichern sollte.

In der Versammlung ignorierte man aber  die Denkschriften der betroffenen Staaten und erfüllte die Hoffnungen der Völker auf Einheit und Freiheit nicht. Weder Preußen noch Österreich waren bereit eine Vorherrschaft  anderer zu dulden. Die süddeutschen Staaten, Bayern und Württemberg, beharrten aber auf ihre im Rheinischen Bund erworbene Souveränität.

Das Abstimmungsergebnis im Deutschen Abschluss über den Entwurf einer Bundes- verfassung zeigte das fehlende Einvernehmen über die zukünftige Gestalt Deutschlands.

Das zustande gekommene Ergebnis des Wiener Kongresses  für Deutschland  war somit ein loser Staatenbund ohne Oberhaupt, zum Zweck der Wahrung der Unabhängigkeit der souveränen Einzelstaaten und die Niederhaltung der sich neu ordnenden politi- schen und sozialen Kräfte.

Die Organisation des Bundes agierte schwerfällig, sie funktioniert praktisch nur durch das Zusammenwirken der beiden Großmächte Österreich und Preußen. Die auf dem Wiener Kongress neu festgelegte politische Ordnung widersprach den Forderungen aus den Denkschriften der einzelnen Staaten, staatsbürgerliche Freiheit und eine Mitbestim- mung des Volkes an politischen Entscheidungsprozessen.

Deutschland wurde im Sinne der alten Dynastien aus der Zeit vor der Revolution 1789 wieder hergestellt. Das Volk blieb Untertan. Demokratische und nationale Strömungen gelten als "zersetzender Zeitgeist". Die ererbte Autorität der Monarchen und das Gleichgewicht der fünf europäischen Hauptmächte sicherten die Ruhe in Europa weiterhin.

Der Ideologie nach ein Bündnis zur Er- neuerung christlicher Grundsätze diente sie in der Praxis als Instrument der Aufrechterhaltung der bestehenden dynastischen und gesellschaftlichen Ordnung und zur gewalt- samen Unterdrückung aller Befreiungs- versuche der europäischen Völker.

Von den erwarteten Reformen blieb nicht als der Text aus dem Artikel 13 der noch als gültig anzusehende Bundesakte: "In allen Bundes- staaten wird eine landständige Verfassung statt finden"; weder über den Inhalt, noch über einen Zeitpunkt einer Einführung wird etwas ausgesagt; Petitionen blieben erfolglos; wurden nicht  erfüllt.

Dagegen werden in den süd- und einigen mitteldeutschen Staaten von den Monarchen Verfassungen gewährt, die den Bürger für seinen Staat engagieren soll.

Der moderne Verfassungsaufbau dieser Staaten wird an deutlichsten in der Gegenüberstellung mit dem weiterhin absolutistisch regierten Preußen.

Der freiheitlich gewollte Nationalstaat wurde nicht akzeptiert, die gesamtdeutsche Politik beschränkte sich von nun an fast aus-schließlich auf die Unterdrückung allen Strebens nach größerer Einheit und Freiheit.

1819, am 23. März, wurde der Staatsmann Kotzebue ermordet; der Mord war willkommener Anlaß mit rigorosen Gesetzen gegen jegliche Bewegung liberaler, demokratischen und nationalen Charakters vorzugehen. Die "Karlsbader Beschlüsse" umfassten die gesetzlichen Basis für die "Demagogen- verfolgung".

Presse und Publizistik unterliegt einer strengen Zensur. Alle Druckerzeugnisse ab einer Größe von unter 20 Bogen mussten die Zensurbehörde passieren. Liberale und demokratische Zeitungen wurden als staatsgefährdend zensiert oder gänzlich verboten. Die Möglichkeiten der Presse sich dagegen zu wehren waren gering.

Politische Schriften erschienen oft in Kleinst- formaten, um  nicht gegen die gesetzte Zensurgrenze zu verstoßen. Darüber hinaus wurden Vertreter der politischen Opposition persönlichen Verfolgungen ausgesetzt, Liberale und Demokraten wanderten in die Ge-fängnisse.

In den Jahrzehnten zwischen 1815 und 1848, im sogenannten Vormärz, bildete sich Opposition gegen das auf der Grundlage  von Restauration, Legitimität und Solidarität be- ruhende System des Deutschen Bundes zahlreiche Reformbewegungen, getragen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten mit verschiedenen Zielvorstellungen; unter- schiedlich auch in ihren politischen Methoden, sind sich alle dieser Bewegungen darin einig, dass sie wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung entscheidend verändert werden müsse.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

02.05.2003, Horst Biehl


  

 

- Vormärz -

Vormärz nennt man jenen politisch-geschicht- lichen Zeitabschnitt, der im weitesten Sinne der Märzrevolution von 1848 vorausgeht - also eine nachträgliche politische  Benennung in der deutschen und auch europäischen Geschichte. In ihr reifte und entwickelte sich politische Opposition auf der Grundlage von 'Restauration, Legitimität und Solidarität' beruhende System des Deutschen Bundes zu zahlreichen Reformbewegungen.

Nicht allein aus deutscher Sicht wirkte der Nationalgedanke zu dieser Zeit. Befreiungs- kämpfe verschiedener Nationen in Europa beflügelte gleichzeitig die deutsche National- bewegung. Es entstand eine Solidarität der unterdrückten und zerrissenen Völker gegen die Mächte monarchischer Legitimität.

Eine Fülle von Festen fand vor allem in Süddeutschland statt, mit denen zum Ausdruck kam, dass der Nationalgedanke nicht allein das Ziel einiger Theoretiker und Interessen- gruppen, sondern der Wunsch breiter Volksschichten war; im Hauptgrund eine natio- nale Bewegung zur Beseitigung von wirtschaft- lichen, politischen und sozialen Mißstände.

Starke Impulse zu einer nationalen Einigung gingen von der wirtschaftlichen Entwicklung aus.  Nach dem Beginn der Industrialisierung in Deutschland litt eine weitere Entwicklung von Handel und Industrie vor allem unter der ökonomischen, staatsrechtlichen  und politischen Zersplitterung, die sich in der Uneinigkeit von unterschiedlichen Münz-, Maß- und Gewichtssystemen zeigte; ausgedehnt auf die getrennten Staaten, Provinzen und Städten.

Die Handelsfreiheit in den deutschen Staaten standen in Zwietracht zu den Nachbarstaaten, die mit Schutzzöllen fremdes Handelsgut von ihren Märkten fernzuhalten suchten.

Es drohte dadurch die entstehende deutsche Industrie an den Rand einer tragenden Existenz zu bringen. Nicht alleine aus wirtschaftlicher Überlegung bestand man darauf deutsche Staaten zu einem politischen Zusammenschluss zu bringen.

1815 entstand die erste Burschenschaft in Jena. Ihr Wahlspruch war "Ehre, Freiheit, Vaterland".  'Schwarz, Rot Gold',  die  Farben von den Uniformen der Jenaer Burschenschaft und die Farben des Litzowschen Freikorps, der Jenenser Burchenschaftsfahne, wurden übernommen, sie galten den Studenten als Farben des Alten Reiches und wurden alsbald zum allgemeinen Symbol der nationalen und liberalen Bewegung.

Die Universität war Zentrum der nationalen und liberalen Bewegung, sie beharrte auf der Forderung nach politischer Einheit der Nation und die Abschaffung absolutistischer Regierungsformen. Von Jena aus hat sich die Burschenschaften an fast allen Universitäten in Deutschland verbreitet.

1817 Veranstaltete die Burschenschaft mit dem Wartburgfest ihre erste Kundgebung für die Einheit Deutschlands:

"Ein Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und bleiben!"

" Der Mensch ist nur frei, wenn er auch die Mittel hat, sich selbst nach eigenen Zwecken  zu bestimmen!"

In den Grundsätzen zum Wartburgfest wurde der Wunsch nach Einheit und die Forderungen nach sozialer und politischer Mitbestimmung deutlich. Die 'Gießener Schwarzen', der radikale Flügel der Burschenschaft, sahen bereits in der Republik ihr Ziel, das sie nur auf gewaltsamen Wege für erreichbar hielten. Dagegen versuchten die Vertreter des politischen Liberalismus, die derzeit wichtigste Oppositionsbewegung, auf legalem Wege ihre politischen Inhalte  durchzusetzen; Gewährung bürgerlicher Freiheitsrechte, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, als auch Mitbestimmung bei politischen Entscheidungsprozessen.

Im Oktober 1818 schlossen sich die Burschenschaften zur 'Allgemeinen Deutschen Burschenschaft' zusammen.

1818 begann man die Aufhebung der Binnenzölle. Darauf folgte in Frankfurt der 'Allgemeine deutsche Handels- und Gewerbeverein', der zum Zentrum der Fabrikanten und Kaufleute wurde.

Die eigentliche Antriebskraft erhielt der Nationalgedanke jedoch zunächst aus der Tradition der Freiheitsbewegung, die vor allem unter den Studenten lebendig war.

Die eingeschränkte Freiheit in den deutschen Städten verstärkte die nationale Zielsetzung des Liberalismus. In den Landtagen kam es immer häufiger zu Demonstrationen für die nationale Einigung, wobei die Liberalen, veschiedenster Schattierungen, das Zentrum der Agitationen waren. Die 'Radikalen' gingen mit ihren politischen und sozialen Forderungen weiter und verlangten die Selbstregierung des Volkes; ihre Hauptforderungen waren: die Befreiung der Bauern und die Stellung der Industrialisierung.

Der 'Pauperismus' wurde zum zentralen Problem der politischen und sozialen Entwick- lung in der Zeit des 'Vormärz'.

Die 'Radikalen' forderten die Menschenrechte für alle Bürger des Staates, nur so hätten die freien politischen Institutionen einen Sinn.

Die radikalste Richtung verkörperten die 'Gießener Schwarzen', so genannt nach ihrer altdeutschen Tracht, ihr Erstrebten war der gewaltsamen Sturz der Fürsten und die Errichtung einer deutschen Einheitsrepublik.

1819 wurde August von Kotzebue, Staatsmann und Lustspieldichter, ermordet; er galt als ein Agent des Zaren. Dies gab Metternich die erhoffte Möglichkeit gegen die politisch gefährlichen Burschenschaften einzuschreiten. Durch die Karlsbader Beschlüsse  wurden  die

 

Burschenschaften verboten. Es bildeten sich alsbald Geheimbünde zur Aufrechterhaltung der nun begonnenen Freiheitsbewegung.

Hintergründig standen die wirtschaftlichen Veränderungen, einhergehend mit den Ände- rungen des sozialen Gefüges der bestehenden Gesellschaft. Viele kleine handwerkliche Betriebe unterlagen dem Konkurrenzdruck der industriellen Entwicklungen. Zum Lebens- erwerb reichte der Verdienst eines einzelnen Familienmitglieds nicht mehr aus, weitere Familienmitglieder waren gezwungen den Lebensunterhalt mit zu bestreiten - es begann die Zeit in der Kinder in Fabriken arbeiteten.

In den Ländern, in denen die Bauernbefreiung nur gegen Landabtretung verwirklicht werden konnte, konnten die Bauern mit ihren verklei- nerten Besitz nicht mehr rentabel wirtschaften, verkauften Hab und Gut, um in den Fabriken zu arbeiten. Wer dort nicht resignierte, sondern sich für bessere Einkommensbedingungen einsetzte musste mit Gefängnisstrafen rechnen. Diese soziale Not trieb tausende zur Auswanderung. Mit ihnen bildete sich der Nährboden beginnenden Proletariats. So formierten sich die ersten Ansätze kommu- nistischer Vereinigungen jenseits der Grenze des Deutschen Bundes.

Die wirtschaftlichen und sozialen Verände- rungen trieben die politischen Reformbe- wegungen voran, mit dem Ziel der bürgerlichen Freiheitsrechte, die Zersplitterung Deutsch- lands zu überwinden und um einen freiheit- lichen Nationalstaat zu errichten, der entweder eine konstitutionelle Monarchie oder eine Republik werden sollte.

Die bedeutendste politische Bewegung in dieser Zeit des Vormärz war der Liberalismus, er forderte Repräsentationsverfassungen für die deutschen Einzelstaaten. Kernpunkt war der Abbau der wirtschaftlichen Schranken und ein geeintes Deutschland auf parlamen- tarischer Grundlage, garantierte Grundrechte verankert in der Verfassung, die den gebildeten und besitzenden Bürgern die Teilnahme an den Staatsangelegenheiten sichern sollten.

Die Partei des Liberalismus umfasst auch die gesamte Spannweite, welche die Monarchie nicht in Frage stellten. Der Liberalismus war vor allem eine Bewegung des gebildeten und besitzenden Bürgertums, die als Träger des Staates und als Vertreter des Volkes in seiner Gesamtheit zu verstehen sei.

Aus der Eingeschränktheit in den Einzelstaaten erhielt der liberale Nationalgedanke seine Antriebskraft. Die Hoffnungen aller fortschritt- lichen Kräfte galten einem geeinten Deutsch- land und einer gesamtdeutschen Volksver- tretung.

Die Kompromissbereitschaft der gemäßigten Bewegungen bei den Liberalen führten jedoch nicht zu den erwarteten Erfolgen. Die Demokraten indessen wanden sich vor allem an die unteren Schichten, bürgerliche Individuelle und Handwerkerproletariat verbanden sich, meist in der Emigration, zu Geheimbünden und forderten in Flugschriften die Republik.

Der politische Druck und die Erfolglosigkeit der kompromissbereiten liberalen Bewegung be- wirkte, dass diese radikal-demokratische Bewegung immer mehr Anhänger gewann.

Einhergehend neben politischer und wirt- schaftlicher Reformbewegungen erfuhr die nationale Kulturbewegung eine Eigen- ständigkeit - ein Zeichen dafür, dass die verschiedenen Volksschichten mit den Pro- blemen ihrer Zeit keinen Einklang finden konnte.

Deutschland kenne zwar keine politische, jedoch eine kulturelle Einheit, aus der gemein- samen Sprache, Dichtung und Geschichte wurde der Begriff der einheitlichen Kulturnation entwickelt.

Das nationale Bewusstsein erfüllte sich damit zu gleich mit den Erinnerungen an eine romantisch verklärte Vergangenheit. Abge- wandt von der politischen Realität entdeckt die Romantik den deutschen 'Volksgeist'. Die 'Heidelberger Romantik', ein Kreis von Dichtern spiegelte diese Abkehr von der Gegenwart und ihren Problemen besonders deutlich.

An die Stelle des politischen Fortschritts- gedankens im Bürgertum trat die idealisierte Vergangenheit, aus deren Zeugnisse man die Kraft für eine nationale Wiedergeburt schöpfte, in der gleichzeitig entstehenden deutschen Philologie wird die Sprache als einigendes Merkmal der Nation wissenschaftlich erforscht. In der Zeit von 1807 an bis 1814 erschienen von den Brüdern Grimm, in ihrer aktiven Schaffenszeit, mehrere Veröffentlichun- gen und als Hauptwerk die historische 'Deutsche Grammatik'; damit gründete man die germanische Philologie.

Die politische Zeit blieb nicht ohne Bewegung, sie erhielt einen starken Auftrieb nach der Revolution in Frankreich, im Juli 1830. Im südwestdeutschen Raum fanden zahlreiche Versammlungen statt, in denen bereits demokratische Forderungen dominierten.

1832 fand das Hambacher Fest bei Neustadt an der Haardt statt. Anlass war die um-fangreiche Feier des Jahrestages der bayerischen Verfassung  von 1818, er wurde eine Demonstration für Einheit und Freiheit wie sie Deutschland noch nie erlebt hat. Es nahmen ca. 30.000 Menschen aus allen Teilen Deutschlands daran Teil - so die historische Überlieferung. Vor allem beteiligte sich der bürgerliche Mittelstand, Handwerker, sowie Studenten und Bauern. Der Marsch ging auf die Burgruine Hambach, es wurden die Fahnen 'Schwarz-Rot-Gold' mit der Inschrift 'Deutschlands Wiedergeburt'  und  die  Fahnen des politischen Befreiungskampfes gezeigt.

 

Auf dem Fest werden mehr als 20 Reden gehalten,  gemeinsamer   Inhalt  war  darin  der Zorn über die Zerstückelung Deutschlands, die Erbitterung über den Druck der Fürsten und die materielle Not der unteren Schichten, erkennbar; Wohlfahrt, Freiheit und Einheit sollen Gestalt gewinnen in einem deutschen Nationalstaat.

Der Plan allerdings, eine feste Organisation zu schaffen, die im Volk die Ideen der Volkssouveränität, der Demokratie und der Verständigung mit andern Völkern stärken sollte, war zum Scheitern verurteilt, weil man sich auf kein gemeinsames Programm einigen konnte.

Der Deutsche Bund verschärfte daraufhin mit drakonischen Maßnahmen, als Antwort der Reaktion auf dem Fest, mit erneuten und zahlreichen Verhaftungen viele Teilnehmer und Redner, zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bund. Die Farben 'Schwarz-Rot-Gold', Ausdruck der liberalen und demokratischen Opposi- tion, durften nicht mehr gezeigt werden. Das Hambacher Fest aber war und blieb die bedeutendste, wenn auch  nicht die einzige, Manifestation für Einheit und Freiheit in diesen Jahren. Die liberale und die nationale Bewegung in Deutschland war nur Teil einer europäischen Gesamtströmung. Überall kämpften Völker um verfassungsrechtliche und liberale Reformen. Die nationale Erhebung Griechenlands (1821), der italienische Einigungskampf, geführt von den Carbo- nari, die französische Julirevolution und der Polenaufstand (1830) beflügelte die nationale Bewegung in Deutschland. Aus der Gruppe der Carbonari ging Giuseppe Manzzini hervor, der erste Programmatiker der italienischen Nationalbewegung; im Exil gründete er (1831) den republikanischen Geheimbund 'Giovane Italia'. Eine gleiche Organisation schafften deutsche Flüchtlinge, meist Handwerkerburschen, 'Junges Deutschland (1834), in der Schweiz. Zusammen mit den 'Jungen Polen' verbrüderten sich diese Emigrantengruppen unter Mazzinis Leitung zum 'Jungen Europa'. Die in Deutschland entstandenen wirtschaftlichen Veränderungen schufen weitere Voraussetzungen.

1833 entstand der 'Deutsche Zollverein', mit Zollverträgen zwischen Preußen und den meisten mitteldeutschen Staaten; aller- dings unter Ausschluss Österreichs. Parallel schuf der Eisenbahn-, Straßen- und Kanalbau die Voraussetzungen für ein einheitliches Wirtschaftsgebiet. Mit dem wirtschaftlichen Zusammenschluss, der beigetretenen Staaten und Länder, entstand eine starke Anziehungs- kraft auf andere Staaten zu weiteren Schritten für eine politische Einigung.

1832 proklamierte die illegale Burschen- schaften auf dem Stuttgarter Burschentag: "Der Zweck der Burschenschaft soll von nun an sein die Erregung einer Revolution, um durch diese in Freiheit und Einheit Deutschlands zu erreichen."

1833, ausgehend von den Burschenschaften, entstand ein dilettantischer Putschversuch zur Beseitigung des Bundestages. Sie stürmten die Frankfurter Hauptwache. Der Putsch scheiterte, Verhaftungen waren die Folge, einen direkten politischen Einfluss erreichte die Burschenschaftsbewegung nicht.

1834, am 01. Januar, tritt der von Preußen ins Leben gerufene Zollverein in Kraft; er umfasst 18 Staaten mit ca. 23 Millionen Einwohnern. Es entwickelte sich ein leistungsfähiges Trans- portsystem, der Straßenbau wurde verstärkt weitergeführt; der Bau von Kanälen wurde verstärkt beschleunigt; die Binnenschifffahrt wurde für den Warentransport weiter aus- gebaut und erweitert.

1835 wurde die erste Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth in Betrieb genommen. Die anfängliche Skepsis war alsbald abgebaut, als man Nutzen und Rentabilität er-kannte. Es entstanden Aktiengesellschaften, dessen Aktien von der preußischen Regierung mit Zinsgarantien gezeichnet wurden; risikolos entstand die erste Spekulationswelle auf den Aktienmärkten. Das Eisenbahnnetz erweiterte sich daraufhin sprunghaft, allein 1846 wurden ca. 1200km Schienenstrecke verlegt. Mit dem steigenden Bedarf an Kohle und Eisen ver- lagerte sich das Schwergewicht der Produktion in das Ruhrgebiet, die Einfuhr von Rohstoffen, überwiegend aus England, wurden einge- schränkt und mit Schutzzöllen belegt.

1847 haben sich die politischen, wirtschaft- lichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland weiter verschlechtert. Die politischen Gruppen begannen, sich über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg, zu verständigen. Dabei zeigt sich immer deutlicher die Kluft zwischen der Mehrheit der gemäßigten Liberalen, die ihre Hoffnungen immer noch auf Reformen und Vereinbarungen mit den Fürsten setzten, und der Minderheit der radikalen Demokraten, deren Bestrebungen sozialrevolutionäre Züge tragen. Am 1. Oktober trafen sich die gemäßigten Liberalen in Heppenheim unter ihnen waren überwiegend Abgeordnete der süddeutschen Kammern, aber auch rheinische Liberale. Inhalte ihrer Bestrebungen war die eben gegründete 'Deutsche Zeitung' in Heidelberg. Die Teilnehmer verwerfen ausdrücklich jene Einigung Deutschlands auf gewaltsamen Wege; sie lehnten eine Vertretung des Volkes beim Deutschen Bund ab, da diesen die zentrale Regierungsgewalt fehlte. Dagegen entwickelten sie den Plan, den Zollverein schrittweise auszubauen - ebenso auch für eine politische institutionelle Einrich- tung zur Einigung Deutschlands zu verwenden.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

02.05.2003, Horst Biehl


 

- Die Zeit der Revolution 1848 bis zum Verbot politischer Vereine -

Der geistige Aufbruch zu - Liberté - Égalité - Fraternité - hat stattgefunden, es bildeten sich in Deutschland starke Bewegungen unter- schiedlich gerichteter liberaler und demokratischer Gruppen. Ihre Gemeinsamkeit lagt in der Forderung zu einer national- staatlichen Einigung Deutschlands, die gegen die herrschenden staatlichen Mächte gerichtet waren und mit dem Problem zugleich das einer grundlegenden sozialen Veränderung aufzeichnete. Nationale und  soziale Fragen sind unmittelbar aufeinander bezogen und je nach Ausrichtung der politischen Strömung ist die Forderung nach nationaler Einheit gemeinsames Gut unter der Voraussetzung wirtschaftlicher und sozialreformischer Ver- änderungen. Vor dem Hintergrund einer gesamteuropäischen Wirtschaftskrise  hatten sich die sozialen und politischen Spannungen um die Jahreswende 1847 zu 1848 verschärft.

Volksversammlungen, Bauernrevolten, Petitio- nen an die Regierungsvertreter, häuften sich. Vor allem, die so genannten 'Märzforderungen', die in Süddeutschland formuliert worden waren, zielten auf die Pressefreiheit, Schwurgerichte, konstitutionelle Verfassungen in den Einzelstaaten und Berufung eines deutschen Parlaments. Die Pariser Revolution im Februar 1848 führte als Vorbild zu den Aufständen in Wien und Berlin. Versammlungen, Demonstrationen und Straßenkämpfe bestimmten den bisherigen Gang der Revolution. Mit dem Willen der bürgerlich-liberalen Mehrheit und auch im Anschluss vieler Demokraten soll nun der Weg parlamentarisch legitimierter Refor- men beschritten werden. In einer Nationalversammlung soll eine gesamtdeutsche Verfassung ausgearbeitet und eine regierungsfähige Zentralgewalt errichtet werden.

Am 05. März 1848 versammelten sich die führenden Liberalen und Demokraten Süd- und Westdeutschlands in Heidelberg, sie forderten die Einberufung einer National- versammlung. Sie wandten ihren Appell zwar an die bestehende Regierung, hatten aber selbst einen 'Siebenerausschuss' zur Vorbereitung und Wahl der Nationalversammlung ernannt; damit war ein erstes revolutionäres, noch nicht als selbstbestimmendes zu bezeichnendes, Organ geschaffen. Der 'Siebenerausschuss' hatte alle früheren als auch alle gegenwärtigen Ständemitglieder und Teilnehmer an gesetzgebenden Versammlungen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus allen deutschen Landen zu einem 'Vorparlament' nach Frankfurt eingeladen.

Am 30. März 1848 zogen über 500 Männer in die Paulskirche in Frankfurt ein. In dieser revo-lutionären Versammlung waren die einzelnen deutschen Staaten unterschiedlich stark vertreten. Ein festes Programm gab es nicht, alleinig die Minderheit der demokratischen Linken forderten mit ihrem Programm die Errichtung einer föderativen Republik und die sofortige Übernahme der revolutionären Vollzugsgewalt durch das Vorparlament. Die liberal gerichtete Mehrheit ist von einer solchen Forderung weit entfernt, sie strebte eine politische Neuordnung durch eine Vereinbarung mit den Fürsten an. Damit zeichnete sich eine Kompromissbereitschaft mit den alten feudalen Gewalten ab. Als die radikal gerichtete Gruppe dies erkannt hatte verließen 40 Mitglieder die Versammlung, scharten sich mit Freiwilligen zusammen und begannen in Baden einen Aufstand zur Verwirklichung der sozialen Republik. Sie wurde von einer Gruppe deutscher Emigranten aus der Schweiz und Frankreich unterstützt, überschätzt durch die Werbekraft der republikanischen Idee. Nach wenigen Tagen war der Aufstand von den regulären badischen und hessischen Truppen niedergeschlagen.

Das Vorparlament hatte Grundsätze zur Wahl und zur künftigen deutschen Verfassung beraten und einen Fünfzigerausschuss für die Wahlvorbereitungen eingesetzt. Dieser Aus- schuss arbeitete mit dem alten Bundestag und den Regierungen der Einzelstaaten zusam- men, die sich beeilten die Wahl zu legitimieren und Wahlgesetze zu erlassen. Es entstanden unterschiedliche Verfahrensformen Wahlen zu legitimieren, wobei in verschiedenen Einzel- staaten Arbeiter und Dienstboten von den Wahlen ausgeschlossen waren; andere Einzelstaaten indirekt über Wahlmänner Wahlen abzuhalten vorgaben; sechs Einzelstaaten gewährten direkte Wahlen. Politische Parteien hatten sich noch nicht konsolidiert, die vorgesehenen Kandidaten wurden durch entstehende politische Clubs oder schnell organisierte Wahlkomitees aufgestellt.

Am 18. Mai 1848 trat die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Die Erwartungen wurden hoch eingeschätzt. Zum ersten Präsidenten der Nationalversammlung wurde Heinrich von Gagern gewählt, in seiner Ansprache berief er sich auf die 'Souveränität der Nation' und ihr Recht sich eine neue Verfassung zu geben, unter Mitwirkung der Regierungen. Gewählt wurden 831 Abge- ordnete, einschließlich deren Stellvertreter. Die Mehrheit der Parlamentarier stammte aus dem Lager des liberalen Bürgertums; Beamte, Akademiker und Juristen bestimmten das Bild; Handel und Gewerbe waren nur durch wenige Abgeordnete vertreten; Adel und Klein- bürgertum standen ebenso am Rande; Bauern und Arbeiter hatten in der Nationalversamm- lung keine Vertreter.

Alsbald bildeten sich in der Frankfurter Nationalversammlung aus den Abgeordneten feste politische Gruppierungen, die auch die parlamentarische Arbeit wirkungsvoll zu organisieren suchten. Die Abgeordneten bildeten Fraktionen, sie trafen sich regelmäßig in Gasthäusern und nannten sich nach diesen. Die Fraktionen wählten Vorstände, man legte Mitgliederlisten an, man beschloss Program-me, man übernahmen so die Vorbereitungen für das Plenum; von manchen wurden sie schon als Partei bezeichnet.

Die in der Minderheit befindliche demokrati- sche Linke organisierte sich am schnellsten, sie versammelten sich im 'Deutschen Hof'; aus ihnen spalteten sich  entschieden die Repu- blikaner als Fraktion 'Donnersberg' ab und bildeten damit die äußerst linke Gruppe im Parlament; später, im Februar sollten sie sich,

 

als  sich  die kleindeutsch-preußische  Lösung abzeichnete,  mit dem 'Pariser Hof' der Rechten zur großdeutschen Koalition zusam- menschliessen.

Die liberal-konservative Gruppe, die Rechte, zuerst katholisch und österreichisch orientiert, orientierte sich zunächst im 'Steinernen Haus', wechselte dann unter der Leitung des preußi- schen Freiherr von Vincke ins 'Café Milani'; sie sahen ihre Aufgaben der Nationalver- sammlung auf die Ausarbeitung der Verfassung beschränkt und gestützt auf die Konstitution  der Fürsten. Die liberale Mitte bildeten den größten Teil der Abgeordneten, die ihrerseits in zwei Flügel zerfällt: den 'Württenberger Hof', als der linke Flügel, und in die Casinopartei, als das rechte Zentrum. Der 'Württenberger Hof' lehnt die Vereinbarung mit den Fürsten ab. Die 'Casinopartei' und stärkste Gruppe, bestimmte weitgehendst das Geschehen im Parlament und stellte auch den Präsidenten; die meisten Mitglieder der Fraktion verfolgten eine konstitutionelle Monarchie mit beschränktem Wahlrecht und traten später für die kleindeutsche Lösung ein.

Die deutschen Fürsten in den Einzelstaaten sahen sich zu Konzessionen gezwungen, sie gewährten liberale Verfassungen, beriefen liberale Ministerien, versprachen Presse- und Versammlungsfreiheit und ein deutsches Parlament.

Es organisierten und festigten sich bereits politisch-soziale Richtungen so weit, dass man fünf parteiartige Gruppen unterscheiden konnte: Liberale und Demokraten; Konservative; der politische Konservatismus; eine frühe Arbeiterbewegung; unpolitische Vereine und Verbände mit unterschiedlichen Interessen. Damit entstand in der deutschen Gesellschaft eine politische Selbstorganisation in einer neuen und zukunftsorientierten Bewegung. Ein erster demonstrativer Höhepunkt der Arbeit in der Nationalversammlung war die Wahl des Reichsverwesers, sie ging auf einen Kompromiss zwischen den Vorstellungen der verschiedenen Fraktionen über eine provisorische Zentralgewalt zurück.

Die Linke schlug eine einzelne Person als Träger der Exekutive vor, gewählt durch die Nationalversammlung; die Rechte ein Kollegium mit Ernennung durch die Fürsten ohne Verpflichtung zur parlamentarischen Verantwortung; diese Uneinigkeit führte unweigerlich zu Konflikte.

Der Präsident der Nationalversammlung schlug daraufhin die Wahl eines Reichsverwesers vor. Gewählt wurde Erzherzog Johann, 'nicht weil, sondern obgleich er ein Fürst ist'.

Der Reichsverweser wurde von den Fürsten der Einzelstaaten anerkannt; er war der Nationalversammlung gegenüber nicht verant- wortlich, damit war er legitimer Nachfolger der Bundesversammlung, die ihre Kompetenzen auf den Reichsverweser übertragen hatte.

Mit diesem Kompromiss, mit den 'alten Mächten', schuf sich die Nationalversammlung zusätzliche Probleme. Zunächst waren große Erwartungen auf dem Reichsverweser gerich- tet. In einem Aufruf 'An das deutsche Volk' versprach man 'Die Freiheit voll und unverkürzt', und die 'Vollendung des Verfassungswerks'. Demokratische Vereine appellierten die Volkssouveränität zu achten und für die Wahrung der Verantwortlichkeit eines künftigen Reichsoberhaupts einzutreten. Nach der Berufung des Reichsministeriums, zeigte sich die Handlungsfähigkeit der Zentralgewalt durch organisatorische Mängel und Kompe- tenzstreitigkeiten mit den deutschen Einzel- staaten stark eingeschränkt, fast Handlungs- unfähig. Ohne Armee, Polizei und verwaltungs- geschulte Beamte ist die Nationalversamm- lung bei der Durchführung von Beschlüssen von der Mitarbeit der politischen Machtträgern der Einzelstaaten abhängig. Die Einzelstaaten hatten sich geweigert ihre Truppen einer zen- tralen Obergewalt zu unterstellen.

Am 06. August des Jahres erging ein Appell an die Truppen aller Staaten dem Reichsverweser zu huldigen; Preußen und Österreich folgten unter Vorbehalt. Die Ausarbeitung eines ver- bindlichen Katalogs von Menschen- und Bürgerrechten nach dem Vorbild der Fran- zösischen Revolution ist für die verfassungs- gebende Versammlung in der Paulskirche das erste Ziel.

Am 03. Juli 1848, nach der Konstituierung der provisorischen Zentralgewalt, beschloss die Nationalversammlung mit der Feststellung der allgemeinen Rechte, welche die Gesamtver- fassung dem deutschen Volke gewähren solle, solle die Einheit und Freiheit Deutschlands, das Wohl des Volkes, auf Dauer begründen. Viele Deutsche versuchten mit Flugschriften, Petitionen und Änderungsvorschlägen Einfluss auf die Formulierungen der fundamentalen Rechte der Bürger Einfluss und Verbesse-rungen zu nehmen. Mit Beschluss der Nationalversammlung, mit der Diskussion der Grundrechte zu beginnen, damit Rechte des Einzelnen den Staat gegenüber gesichert und eine Rechtswillkür des Polizeistaats und Be-vormundung entfernt wurden, die von oben herab auf Deutschland lastete, die bürger- lichen Grundrechte des Rechtsstaats garantieren, wurden gegenüber der Debatte über die Verfassungsprobleme vorgezogen. Zum ersten Mal wurde in der deutschen Geschichte ein einheitliches 'Reichsbürger- recht' geschaffen; ständische Vorrechte wurden durch die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetzt abgelöst.

Der 'Adel als Stand' ward damit aufgehoben - Die Deutschen galten vor dem Gesetz gleich'.

Rechtsgleichheit, einheitliches Staatsbürgerrecht und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz bildeten das Kernstück der Grundrechte. Die Freiheit der Person ist vor dem Gesetz unverletzlich. Jeder Deutsche hatte das Recht durch Wort, Schrift, Druck und Bild seine Meinung frei zu äußern. Die Versammlungsfreiheit wurde gesichert, besonders die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre. Die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat wurde in den Debatten leidenschaftlich diskutiert. Die Grundrechte sicherten die Verfügungsgewalt des Bürgers über das Eigentum. Jeder Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband wurden aufgelöst, die besitzlosen Bürger waren frei von

 

Abhängigkeiten. Obwohl die soziale Frage durch das Elend breiter Volksschichten ins allgemeine  Bewusstsein gedrungen war, fand sich in den Grundrechten nichts über eine soziale Sicherheit. Hier setzte die Kritik der Arbeiter- und Gesellenvereine und der Demokraten entschiedenen an.

Noch während der Diskussionen über die Grundrechte kam es zu einer für das Schicksal der Nationalversammlung entscheidenden Krise, ausgelöst durch die politische Haltung der Herzogtümer Schleswig und Holstein. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein hatten sich der deutschen Revolution angeschlossen, sich gegen ihre Beherrscher, den dänischen König, erhoben, weil Schleswig zum dänischen Nationalstaat einverleibt werden sollte.

Die revolutionäre provisorische Regierung der Herzogtümer ersuchte den Bundesstaat um militärische Hilfe, die sie unter preußischem Oberkommando erhielten.

Die Frankfurter provisorische Zentralgewalt, Rechtsnachfolgerin des Bundestages, in dessen Namen der Krieg geführt worden war, wurde bei den Waffenstillstandsverhandlungen von Preußen übergangen; Preußen verwarf den nationalen Gedanken zugunsten eigener Interessen als europäische Macht. Dadurch entstand für die Nationalversammlung die erste und zugleich schwere Krise.

Mit der Einsetzung des Reichsverwesers zeich- neten sich ab wie die realen Machtverhältnisse aussahen. Im Verlauf der Auseinander- setzungen um Schleswig-Holstein kam es zu einer Konfrontation mit den realen Macht- verhältnissen.

Die Nationalversammlung wurde gezwungen eine Entscheidung über das eigenmächtige Vorgehen Preußens zu fällen, denn von einer Annahme oder Ablehnung des Waffenstill- stands hing nun das Schicksal ganz Deutschlands ab. Bei einer Annahme be- deutete es den Sieg Preußens über die deutsche Nationalbewegung, eine Ablehnung zwang die Nationalversammlung sich gegen Preußen und die europäischen Mächte durch- zusetzen und damit den Weg der Vereinbarung mit den Fürsten zu verlassen.

Am 05. September 1848 lehnte die National- versammlung den Waffenstillstand ab. Mit Hilfe der Liberalen gewann die Linke ihren ersten Sieg in der Paulskirche.

„Das Parlament könne sein stolzes Haupt nie wieder erheben, wenn man sich hier dem ausländischen Druck beuge und die Einheit Deutschlands in Schleswig-Holstein verrate." :so in der Rede des Hauptredners von Schleswig-Holstein.

Das Ministerium trat nach der Rede des Schleswig-Holsteiner Hauptredners zurück und verharrte in ohnmächtiger Passivität.

Am 15. September 1848 akzeptierte die Nationalversammlung, nach einer wiederhol-ten Abstimmung, doch noch den Waffenstill-stand; mit der Einlenkung zur Politik Preußens verlor die Nationalversammlung ihr Ansehen; man begab sich in die Abhängigkeit der Fürsten. Mit dem Unvermögen der Nationalversammlung die preußische Regierung zur Ablehnung des Waffenstillstands zu bewegen dominierte die Ohnmacht vor den bestehenden Gewalten. Republikaner und Demokraten fanden jetzt in der Frankfurter Bevölkerung immer mehr Anhänger, die Befürworter des Waffenstillstandes wurden als Verräter be- zeichnet, die Republikaner dagegen wurden als Sachverwalter der Nationalbewegung an- gesehen.

Die Versammlungen konzentrierten sich in den Arbeiter- und Demokratenvereinen, wo die roten Fahnen die schwarz-rot-goldenen zu verdrängen suchten; man forderte den Auszug der Linken aus der Paulskirche oder die Auflösung der Nationalversammlung.

Die provisorische Zentralgewalt forderte zum Schutz der Nationalversammlung preußisches und österreichisches Militär an.

Während in der Paulskirche über die Freiheit der Wissenschaft debattiert wurde, tobte auf den Straßen der Kampf gegen die auf- ständischen Truppen. Nach der Ermordung zweier Abgeordneten wurde über die Stadt der Belagerungszustand verhängt. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Die  Zentralgewalt der Nationalversammlung fühlte sich gestärkt, hatte sich mit den alten Dynastien verbündet und zu gegenrevolutionäre Maßnahmen ein-geleitet. Diese Entscheidungen kamen schließlich nicht der Zentralgewalt, sondern  den alten Mächten zugute.

Die Unruhen in Frankfurt griffen auf die mittel- und süddeutschen Staaten über, überall wurden jetzt sozialrevolutionäre und republika- nische Forderungen erhoben, die über die Ziele der Mehrheit in der Nationalversammlung hinausgingen.

Auch in den nichtdeutschen Teilen der Habs- burger Monarchie, Ungarn und Italien, kam es zu neuen Unruhen, der ungarische Landes- verteidigungsausschuß plante eine Offensive zur Erringung der Unabhängigkeit. Ein weiteres Zentrum der zweiten revolutionären Welle war Berlin. Anlass war die Ernennung des General- leutnants Brandenburg zum Ministerpräsi- denten, mit dem Auftrag die Konterrevolution einzuleiten. In der Stadt kam es zu Unruhen.

Am 02. November 1848 lehnte fast einstimmig die preußische Nationalversammlung das Ministerium der Krone ab. Der sich entgegen- stellende Widerstand wurde niedergeschla- gen, die preußische Nationalversammlung wurde nach Brandenburg verlegt.

Am 10. November 1848, obwohl kein Widerstand entstanden war, wurde darauf am 12. November der Belagerungszustand über Brandenburg verhängt. Der Widerstand der demokratischen Gruppen begann zu wachsen, das militärische Aufgebot obsiegte.

Die Nationalversammlung in Brandenburg wurde aufgelöst, eine Verfassung wurde oktroyiert, man besänftigte mit Konzessionen das liberale Bürgertum. In Berlin erschien die Broschüre 'Gegen Demokraten helfen nur Soldaten'.

Die Mehrheit des liberalen Bürgertums resignierte, die monarchische Gegenrevolution hatte auch in Preußen gesiegt.

Im Oktober 1848 nahm die Nationalver- sammlung den brisantesten Teil ihres Neuordnungswerks in Angriff.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

02.05.2003, Horst Biehl


 

- Das Jahr 1849 bis zum Verbot politischer Vereine 1851 -

 

Trotz aller Niederlagen konnte der Aufbruch der 'Neuen Zeit' nicht verhindert werden. In den Fürstenhäusern galt noch das Feudalrecht, in ihrer wirtschaftlichen Zukunft aber begann sich  bereits ein Abstieg, der in der landwirtschaftlichen Entwicklung Anfänge hatte, zu  zeigen. In den entstehenden Fabriken dagegen, mit stetigen technischen und fortschrittlichen Entwicklungen, festigte sich die liberale Bewegung immer stärker. Denn in der Mitte des 19ten Jahrhunderts begriffen die Menschen in Europa immer mehr Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einzuschätzen und machten es fortwährend deutlich vom Zwang des Feudalismus frei zu werden; das Bürgertum drängte immer mehr zur Selbständigkeit, frei vom Joch feudaler Unterdrückung und Ausbeutung.

 
     

Die Arbeit an der neuen Verfassung lag zunächst in den Händen eines dreißigköpfigen Verfassungsausschusses, den die führenden Köpfe des Vormärzliberalismus angehören. Erst im Winter 1848/49 traten Kräfte- verschiebungen der Mehrheitsverhältnisse ein, die zu Kompromissen auch mit der demokratischen Linken führten. Die Konzessionen an die Linke war jedoch: die Befugnisse des Monarchen als begrenzt wirksam zu wissen; das allgemeine und gleiche Wahlrecht wurde mit eingefügt.

Die Verfassung zeigte sich daraufhin ausgewogen, geprägt von den Vorstellungen der bürgerlich-liberalen Mehrheit des Frankfurter Parlaments: 'Ein Bundesstaat mit einem Zweikammersystem und einem erblichen Monarchen an der Spitze' - die Einwirkungen der österreichischen und preußischen Machtpolitik war unübersehbar.

Am 27. März 1849 gelang es der Nationalversammlung mit einer eingeschränkten Souveränität die Verabschiedung der Reichsverfassung. Die liberalen und nationalen Hoffnungen, die der preußische König Friedrich Wilhelm VI. In den Märztagen 1848 mit seiner Losung: 'Preußen gehe fortan in Deutschland auf', geweckt hatte, glaubte nun die kleindeutsche Partei mit der Verfassung der Paulskirche eingelöst zu haben.

Am 18. März 1849 wählte die Nationalversammlung den preußischen König zum 'Kaiser der Deutschen'.

Friedrich Wilhelm IV. hielt an seinem Gottesgnadentum fest und lehnte ein demokratisches Volkskaisertum ab: 'Die deutsche Einheit solle nicht das Werk einer vom Volk gewählten Nationalversammlung sein, sondern allein auf dem Weg der Vereinbarung mit den Fürsten geschaffen werden.

Mit der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König ist das Verfassungswerk gescheitert.

Es begann der Kampf um die Reichs-verfassung, da es sich entscheiden solle, ob Deutschland frei und stark, oder geknechtet und verachtet bleiben werde.

Die Vertreter der deutschen Nation haben die Reichsverfassung für ganz Deutschland beschlossen, wie von allen Bürgern gewählt, und als unverbrüchliches Gesetz verkündet.

Am 06. Mai 1849 rief der Kongress sämtliche Märzvereine Deutschlands zur Durchsetzung der Reichsverfassung auf, die zwar von 28 deutschen Staaten anerkannt worden waren, doch die Regierungen fast aller größeren Länder - insbesondere Preußens, Sachsens, Bayerns - ablehnend gegenüberstanden. Überall in Deutschland versuchten Arbeiter-, Volks- und Vaterlandsvereine, mit Petitionen, Pressekampagnen und Straßenversammlungen, Druck auf die Regierungen auszuüben.

Man berief sich auf das 'heilige Recht der Revolution'.

Durch die Ablehnung der monarchischen Regierungen wurde in Deutschland alles, was bürgerlich-demokratische Revolution bisher erreicht hatte, in Frage gestellt. Die Resolutionen sprachen immer deutlicher davon, die Verfassung notfalls mit Gewalt durchzusetzen.

Am 08. Mai 1849 erklärten Heidelberger Bürger: 'Aus eigenem Antrieb und mit freiem

 

Willen, öffentlich   und   mit   feierlichem  Ernst, werden wir die von der deutschen verfassungsgebenden Nationalversammlung in Frankfurt geschaffene und bekanntgemachte deutsche Reichsverfassung samt den Grundrechten und dem Wahlgesetz, Versammlungsfreiheit und die Beteiligung aller Bürger am politischen Geschehen, inhaltlich nach der Reichsverfassung, mit Leib und Leben, Gut und Blut, zu schützen und zu verteidigen'.

In Sachsen, im Rheinland, in der Pfalz und in Baden schlug die Agitation in den offen Aufstand um.

In Dresden rief der Ausschuss des Vaterlandsvereins zur bewaffneten Demonstration auf: 'Eilt zu den Waffen! Es gilt!'; am Nachmittag im 03. Mai 1849 stürmte das Volk das Zeughaus.

Eine provisorische Regierung wurde eingesetzt; für kurze Zeit war die Volkssouveränität Wirklichkeit.

Die Aufständischen waren aber alsbald niedergeschlagen, der Aufruf an die Bürger Sachsens blieb ohne Echo.

Trotz der Niederlage in Sachsen brach der Aufstand in der Pfalz und in Baden aus. Gleichzeitig kämpften die Pfälzer mit der Loslösung ihres Landes von Bayern. Demokratisch-republikanische Ideen prägten diesen Volkskrieg; am 17. Mai trennte sich die Pfalz von Bayern.

Am 13. Mai beschloß in Baden eine Landesversammlung, an der etwa 35.000 Bürger teilnahmen, mit dem Aufruf: 'Die deutschen Fürsten haben sich zur Unterdrückung der Freiheit    verschworen    und    verbunden;   der

Hochverrat an das Volk und Vaterland liegt offen zutage. Das badische Volk wird daher die Volksbewegung in der Pfalz mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln unterstützen!'

Die badische Regierung hatte die Verfassung zwar akzeptiert, doch wollte man mehr. Die badischen Republikaner wollten anstelle der monarchisch-konstitutionellen Lösung die Republik und demokratische und soziale Reformen; unentgeltliche Aufhebung sämtlicher Grundlasten, Schutz gegen das Übergewicht der Kapitalisten und staatliche Arbeitslosenversicherung.

Am 10. bis zum 12. Mai 1849 meuterte das badische Militär in den wichtigsten Festungen des Landes. Die Rebellion der Truppen gegen ihre Offiziere ermunterte die demokratische Volksbewegung zum offenen Aufstand. Turner- und Schützenkompanien, Arbeiterbataillone, polnische und ungarische Legionen zogen zur Unterstützung nach Baden.

Preußisches Militär und Truppen des Reichsverwesers unter dem Oberbefehl des Prinzen von Preußen, des späteren Kaiser Wilhelm I., marschierten ein, um die Rebellion niederzuschlagen.

Ausdauer, Zähigkeit und Mut der Volksarmee haben die wachsende militärische Desorganisation nicht aufwiegen können, die provisorische Regierung in Baden verhinderte ein energisches Vorgehen, man versagte den nur schlecht bewaffneten Pfälzern militärische Unterstützung, in Baden verbot sie die radikal-demokratische Opposition, die sich im 'Klub des entschiedenen Fortschritts' zusammengefunden hatte; vor allem wandte sie sich gegen eine Ausweitung des Kampfes auf

 

andere deutsche Länder. Auch die Linke in der Frankfurter Paulskirche vermochte nicht sich an die Spitze der Bewegung  zu  stellen,  nach dem die  liberalen und konservativen  Abgeordneten  ausgezogen waren und die Durchsetzung der Reichsverfassung der 'selbsttätigen Fortbildung der Nation' überlassen hatten.

Rastatt, die letzte Festung der Aufständischen und Ausgangspunkt der Revolution, fiel am 23. Juli 1849. Bis Ende Oktober 1849 arbeiteten in Baden die preußischen Militärtribunale: standrechtliche Erschießungen, Zuchthaus und Gefängnis für die Aufständischen, waren das Ende. 80.000 Verfolgte, 6% der badischen Bevölkerung, wanderten aus.

In einem nahezu zweimonatigen Kampf war die badisch-pfälzische Erhebung besiegt.

Im Herbst 1849 war die  liberale und demokratische Bewegung in Frankreich, Italien, Ungarn und Deutschland besiegt.

Die Revolution war gescheitert, sie scheiterte am Widerstand der alten Dynastien; der königstreuen Heere und der Bürokratie; aber auch an wachsenden Gegensätzen im eigenen Lager. Die bürgerlichen Liberalen scheuten vor den radikalen politischen Forderungen der Republikaner und entschiedenen Demokraten zurück, hinzu kam der Interessenkonflikt zwischen Besitzenden und Besitzlosen, der sich im Zeitalter der beginnenden industriellen Revolution ständig verschärft.

In der nun einsetzenden Reaktion wurden die liberalen Ministerien in allen deutschen Ländern durch konservative ersetzt.

Viele Parlamente wurden aufgelöst, die Verfassungen revidiert.

Die Monarchen regierten wieder ohne wirkliche Kontrolle durch das Volk.

Die preußische Regierung führte das Dreiklassenwahlrecht ein, die Wähler wurden darin je nach Höhe des von ihren entrichteten Steuerbeträgen in drei Klassen aufgeteilt.

Die kleine Anzahl der Großverdiener der ersten Klasse - etwa 4% der Bevölkerung - kann eben so viel Wahlmänner und Abgeordnete stellen wie die zahlenmäßig stärkste Klasse der Kleinverdiener - 80% der Bevölkerung.

Durch die Öffentlichkeit der Wahl soll darüber hinaus eine Kontrolle der abhängigen Wähler gesichert werden.

1851 hebt der Deutsche Bund die 'Grundrechte des deutschen Volkes' wieder auf.  Der Deutsche Bund ist zu diesem Zweck von Österreich und Preußen, den Hauptmächtigen der Reaktion, als Instrument der Unterdrückung, wieder eingesetzt worden.

Meinungs- und Pressefreiheit wurden durch Zensur und Polizeispitzel eingeschränkt.

Während im österreichischen Vielvölkerstaat die letzten nationalen Aufstände niedergeschlagen worden waren, triumphierte die Reaktion unter der Leitung des Deutschen Bundes.

Liberale, Demokraten und Sozialrevolutionäre wurden verhaftet und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt; alle 'verdächtigen' politischen Vereine wurden verboten.

Die Folgen der Unterdrückung waren Massen-auswanderungen in die Schweiz, nach England und vor allem in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Versuch einer demokratischen Nationalstaatsgründung durch das deutsche Volk ist gescheitert.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2004, Horst Biehl


 

- Industrielle Entwicklungen und die Zeit bis zur Reichsgründung 1871 -

 

In der Zeit der politischen Reaktion, nach dem die Reformbewegung dem deutschen Volk eine moderne und richtungsweisende Reichsverfassung zu geben gescheitert war,  entwickelte sich mit der entstehenden industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung eine völlig neue politische und soziale Situation. Es entstand die Zeit des industriellen Aufschwungs mit fortschrittlicher Produktion an Gebrauchsgütern für die industriellen Entwicklungen, für die Landwirtschaft und für das Handwerk. Die Schwerindustrie wuchs sprunghaft, es entstanden industrielle Ballungsräume im Gebiet um Ruhr und Saar und in Oberschlesien. Neue Finanzierungsmethoden und Wirtschaftsbanken ermöglichten moderne Produktionsverfahren im großen Stil und schufen rasche Erweiterungen der Märkte. Es entstand ein wohlhabendes und selbstbewusstes Industriebürgertum.

 
     

In der Zeit nach 1858, mit dem Regierungsantritt des Prinzregenten Wilhelm, der ein liberal-konservatives Ministerium beruft und in einer programmatischen Ansprache an das Staatsministerium weitreichende Reformen angekündigt hatte, glaubte man einer Chance entgegen sehen zu dürfen, dass der preußische Staat auch den politischen Wünschen des liberalen Bürgertums entgegenkomme; viele Zeitgenossen sahen den Beginn einer 'Neuen Ära' in Preußen aufkommen. Dies gab dem Liberalismus in Deutschland enormen Auftrieb, man hoffte auf die Einlösung der Reformzusagen eine nationale Einigung unter der Führung eines liberalen Preußens.

Ermutigt von der Ansprache und der zu erwartenden Entwicklung gründeten Liberale und Demokraten den Nationalverein, man nahm das 1849 gescheiterte kleindeutsche Konzept einer nationalen Einigung auf parlamentarischer Grundlage unter Preußischer Führung wieder auf.

1861 entstand mit der Deutschen Fortschrittspartei 'Die Exekutive des Nationalvereins in Preußen' ein Parteibündnis aus den entschiedenen Liberalen und Demokraten, innerhalb Preußens, deren führenden Männer ebenso dem Nationalverein angehörten; Fortschrittspartei und Nationalverein vertraten die gleichen Ziel- setzungen.

Es kam aber nicht zu einer Zusammenarbeit mit den Liberalen, wie es in anderen Staaten geschehen war, denn bei der Frage der Heeresform kam es bald zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen der Exekutive und dem Parlament, die sich zum Verfassungskonflikt entwickelte.

Die Fortschrittspartei sah darin die entscheidende Machtprobe mit dem monarchisch-konservativen Staat und mit dem mit 'absolutistischen Tendenzen verbündeten Junkertum' - dieser Machtprobe war sie nicht gewachsen.

Im September 1862 wurde Otto von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten berufen. Schon 1848 war Otto von Bismarck als ultrakonservativer Junker bekannt geworden. Als Ministerpräsident steuerte er einen streng antiparlamentarischen Kurs und regierte ohne einen von der Volksvertretung verabschiedeten Regierungsauftrag.

 

Die  Fortschrittspartei  stand  dem  ohnmächtig gegenüber, die konservative Haltung der Landbevölkerung und die Interessenbindung weiter Kreise des besitzenden Bürgertums am preußischen Staat ließen sie vor einem revolutionären Vorgehen zurückschrecken. Diese Haltung war einer der Gründe dafür, dass sich die Arbeiterschaft von der Fortschrittspartei abwandte. Mit der Gründung des' Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins', 1863, blieb die Fortschrittspartei, die ursprünglich als Sammelbecken aller liberalen und demokratischen Reformkräfte verstanden worden war, nur noch das Wählerreservoire des Bürgertums; bürgerliche und proletarische Demokratie gingen von nun an eigene Wege.

Der politische Weg zum Erfolg für Otto von Bismarck zeichnete sich immer deutlicher ab.

Während die Front der politischen Opposition immer mehr zerfällt, gelangen Otto von Bismarck zunächst auf dem außenpolitischem Gebiet immer mehr Fortschritte, im Konflikt um Schleswig-Holstein, in dem sich alle nationalen Kräfte leidenschaftlich engagierten hatten, übernahm Preußen die Führung und zwang Österreich an seine Seite.

Nach dem Sieg über Dänemark wurden die beiden Herzogtümer zunächst unter die Verwaltung der beiden kriegführenden Mächte, Österreich und Preußen, gestellt. Preußen aber drang auf die Annexion der beiden Herzogtümer und trieb damit den Konflikt mit Österreich bis zur Auseinandersetzung. Mit Preußens siegreicher Entscheidung um die Vorherrschaft in Deutschland war die gegenseitige Konkurrenz endgültig zu Gunsten Preußens entschieden.

Der Deutsche Bund wurde aufgelöst, der Weg zur kleindeutschen Lösung, in dem sich alle nationalen Kräfte leidenschaftlich engagiert hatten, der nationalen Frage unter der Führung des konservativen Preußens, zeichnete sich ab; der außenpolitische Sieg wurde für Otto von Bismarck auch ein innenpolitischer; ein Teil der Liberalen unterstützten fortan diese Machtpolitik.

Während der linke Flügel der Fortschrittspartei am Prinzip der Freiheit und Gleichheit festhielt und den nationalen Führungsanspruch Preußens ablehnte, weil eine innere Führung Preußens nicht zu der modernen Volksauffassung stand, glaubten andere

 

Liberale wieder, dass die Verhältnisse in Preußen erst dann im liberalen Sinne geändert werden könne, wenn Deutschland geeint sei.

Der Norddeutsche Bund - verstanden als erste Stufe der Einigung Deutschlands, wie sich abzeichnete unter der politisch Führung Preußens - dehnte den Machtbereich Preußens bis zur Mainlinie aus.

Die Abgeordneten des Reichstags waren zwar nach dem allgemeinen, geheimen, gleichen und direkten Wahlrecht gewählt, politisches Mitspracherecht blieb aber begrenzt. Otto von Bismarck war alleinig vom König von Preußen, als Inhaber  des Bundespräsidiums, abhängig; wurden jegliche Entscheidungen gefällt.

Die Verfassung des Norddeutschen Bundes war bereits auf den möglichen Beitritt der süddeutschen Staaten ausgelegt; man war durch Schutz- und Trutzbündnisse bereits gebunden.

Das neu geschaffene Zollparlament des deutschen Zollvereins, in dem Abgeordnete aus allen Staaten gewählt waren, war auf Gegenseitigkeit ausgelegt.

Einen Einfluss der Nationalliberalen auf Otto von Bismarck blieb unbeachtet, die politische Einigung Deutschland voranzutreiben, war auf weiteres vertagt. Otto von Bismarck erkannte die Haltung Frankreichs: er befürchtete eine Intervention nach dem preußischen Sieg über Österreich. Wachsende Spannungen zwischen Preußen und Frankreich führten über die Verwicklungen der Hohenzollernschen Thronkandidatur schließlich zur Kriegerklärung Frankreichs.

Diese Kriegserklärung Frankreichs löste in ganz Deutschland eine Welle nationaler Empörung aus, es treten die militärischen Bündnisverträge zwischen den deutschen Staaten in Kraft, und wurden während des Krieges nach diplomatischen Verhandlungen durch völkerrechtsähnliche Verträge zwischen den Monarchen und den Regierungen ergänzt.

Nach der Niederlage Frankreichs und dem Sturz des französischen Kaisertums wurde am 18. Januar 1871 im Speisesaal von Versailles in einem höfisch militärischen Zeremoniell der Akt der Reichsgründung durch die konservative preußische Staatsmacht und den Fürsten vollzogen.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2004, Horst Biehl


 

- Das kaiserliche Deutschland bis Kaiser Wilhelm II. -

 

Die nationale Begeisterung des Volkes für das neu gewonnene Reich überdeckte nur scheinbar die tiefen inneren Gegensätze im Bündnis Otto von Bismarcks mit der liberalen und nationalen Bevölkerung. In der national und liberal gerichteten politischen Bewegung erkannte man aber bereits den unvollendeten Verfassungsstaat. In der Frankfurter Paulskirche strebte man 1849 einen nationaldemokratischen Verfassungsstaat mit einer Volkssouveränität an - mit der Proklamation des Kaiserreiches 1871 aber entstand ein nationalmonarchischer Obrigkeitsstaat. Die ungleichen Bündnisse mit der konservativen preußischen Staatsführung standen bereits in der Kritik und ließen den Aufbruch zur 'Neuen Zeit' unweigerlich erkennen, wenn auch die Vorherrschaft Preußens zu einem kaiserlichen Deutschland hinführte.

 
     

Die Vorstellung der Liberalen war das Reich parlamentarisch auf eine breite Basis zu stellen, aber die Vorstellungen des Monarchen war eine alleinige Regierungsgewalt auszuüben, mit dem Vertrauen des Volkes.

Die überaus kompliziert geführte Reichsverfassung war auf eine Person, Otto von Bismarck, zugeschnitten, der in der Schlüsselposition als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident den Regierungs- und Verwaltungsapparat beherrschte:

in den Reichsbehörden, an deren Spitze weisungsgebundene Staatssekretäre standen;

im Bundesrat, in dem die preußische Führungsmacht den Ausschlag gab;

im preußischen Staatsministerium führte Otto von Bismarck den Vorsitz;

ein politischer Einfluss des Reichstages beschränkte sich auf den Bereich der Gesetzgebung.

Die Regierungsgewalt ging also nicht von einem starken und souveränen Parlament aus, sondern es fand eine Regierung über die Parteien statt, für die alsbald das Schlagwort von der 'Kanzlerdiktatur' aufgekommen war. Unberücksichtigt und unerfüllt blieben auch die gesellschaftspolitischen Forderungen der bürgerlichen Freiheitsbewegung, den neuen Staat an die Bedürfnisse der industriellen Gesellschaft anzupassen, die Nation, die gesellschaftlich koordinierten Kräfte, einen entscheidenden Anteil an der politischen Willensbildung zu gewähren hatte man rundweg abwehrte.

Das Reich war somit nicht auf Veränderungen und Erneuerungen eingerichtet worden, sondern auf die Wahrung der altpreußischen und hierarchischen Gesellschaftsordnung, die durch die Vorherrschaft des Junkertums geprägt war. Die oppositionellen Parteien wurden als Reichsfeinde bekämpft, somit waren die ersten Jahre des Kaisertums von tiefen gesellschaftlichen und parteipolitischen Spannungen geprägt. Im Kulturkampf wurde die Autonomie des Staates und der Politik gegen die katholisch-konfessionellen Interessen des Zentrums erbittert verteidigt. Wegen einer Verbindung zum Papsttum galt das Zentrum als 'ultramontan' und 'internationalistisch'. Außerdem befürchtete Otto von Bismarck ein Zusammengehen des Katholizismus mit anderen oppositionellen Gruppen im Reich, vor allem mit der katholischen national-polnischen Minderheit in den preußischen Ostprovinzen.

In einem 'inneren Präventivkrieg' hatte Otto von Bismark unmittelbar nach 1871 dieser Kräfte Herr zu werden versucht.

Gleichzeitig verhärteten die weltanschaulichen Auseinandersetzungen zwischen Liberalismus und Katholizismus die parteipolitischen Fronten. Die Ausnahme- und Verbotsgesetze des Kulturkampfes zerstörten Annahme und Glauben, dass die nationale Gemeinschaft zu einem friedlichen Ausgleich der Interessen und zu gegenseitiger Toleranz führen sollte.

Mit der Zustimmung zum Verbot und zur Ausweisung des Jesuitenordens gab die Nationalliberale Partei ihre eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien preis.

Mit dem Kampf gegen die Sozialdemokratie wurde die innere Struktur des Reiches noch tiefer erschüttert. Mit dem Sozialistengesetz wurde die Arbeiterschaft an der Integration in den Nationalstaat verhindert, man stellte jene Partei unter ein Sonderstrafrecht; jegliches liberale Rechtsdenken wurde damit unterdrückt. Otto von Bismarck gewann die Zustimmung jener überwiegenden bürgerlichen Schichten, die bereits seit längerem die 'rote Anarchie' fürchteten. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I., im Frühjahr 1878, nahm man zum Anlass zur Auflösung des Reichstages und zu Neuwahlen.

 

Damit schuf sich Otto von Bismarck eine gefügige Parlamentsmehrheit; besonders bei der Abstimmung um das Sozialistengesetz.

Die Nationalliberale Partei hatte mit Rücksicht auf die Erregung in der Öffentlichkeit und die Revolutionsfurcht ihrer Wähler bei der Abstimmung um das Sozialistengesetz zugestimmt. Kritiker behaupteten Otto von Bismarck habe das Sozialistengesetz als Werkzeug gegen die Nationalliberalen benutzt, um die Partei innerlich zu spalten. Auch in der folgenden Zeit fanden die Liberalen keine Lösung zur sozialen Frage. Die soziale Staatspolitik Otto von Bismarcks wurde von den Liberalen abgelehnt.

Die Sozialpolitik Otto von Bismarcks hatte unter anderem das Ziel, mit materiellem Entgegenkommen die Arbeiterschaft, auf die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung einzustimmen, hatte aber nicht alleine das Ziel durch materielles Entgegenkommen die Arbeiterschaft mit der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu versöhnen, wenn gleich das System der Sozialversicherung weiter ausgebaut wurde.

Im politischen Spannungsfeld, in der wirtschaftlichen Krisenzeit nach 1873, standen sich nach wie vor die Organisationen der Arbeitnehmerschaft und die der industriellen und agrarischen Interessenverbände gegenüber; es entwickelte sich zusehend ein Klassenstaat.

Die innenpolitischen Positionen blieben weiterhin problematisch und ließen sich nicht in Einklang bringen. Die außenpolitischen Probleme des neuen Reiches waren nicht weniger gelöst, das neue, als kleindeutsches Reich zu verstehende Reich, hatte nur einen Teil der Deutschen in seinen Grenzen vereint.

Es regte sich die Sorge, es werde nun eine Politik der nationalen Eroberung betrieben, denn nur durch ein überaus kompliziertes Bündnissytem und durch wiederholte Versicherungen, Deutschland sei 'saturiert', gelang es Otto von Bismarck das Reich im überlieferten Gleichgewichtssystem einzuordnen.

Die internationalen Krisen der achtziger Jahre bewiesen allerdings, dass damit die Gefahr eines Zweifrontenkrieges nicht  gebannt war.  

Der Höhepunkt dieses diplomatischen Ringens fand im Berliner Kongress 1878 statt.

Die neuen Bündnisse, ein Dreierbund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien und der Rückversicherungsvertrag mit Rußland, hielt nur vorübergehend das Gleichgewicht des europäischen Mächtesystems aufrecht; zumal das deutsche Reich mit dem Übergang zur Kolonialpolitik mit England in eine Frontstellung geriet. So blieb das Reich als unvollendeter Nationalstaat von inneren und äußeren Gefahren bedroht.

In den, innenpolitischen, sowie in den außenpolitischen  Auseinandersetzungen veränderte Otto von Bismarck seine Strategie nicht, behielt die Stabilisierung des konservativen Staates und den Status quo bei.

Die Allianz mit dem Liberalismus, die durch die außenpolitischen Erfolge Otto von Bismarcks 1864 und 1866 zustande gekommen war, kam mit der Indemnitätsvorlage endgültig zum scheitern. Die innenpolitische Wende von 1878/79 kam dann einer zweiten konservativen Reichsgründung gleich; jegliche

Einflussnahme der Liberalen für eine weitere konstruktive Entwicklung war damit endgültig ausgeschaltet.

Der Umschwung in der Wirtschaftspolitik, der Übergang vom liberalen Freihandel zum Schutzzoll, der die Schwerindustrie und die Landwirtschaft begünstigte, führte zur Spaltung der Nationalliberalen Partei. Die eingeführten Schutzzölle und die Erhöhung der indirekten Steuern zugunsten der produktiven Volksklas-

 

sen  belasteten  die  wirtschaftlich   schwachen Bevölkerungsschichten und gaben der Sozialdemokratie politischen Auftrieb.

Im Interessenkampf zwischen Landwirtschaft und Industrie einerseits und Arbeiterschaft andererseits wurden die liberalen bürgerlichen Kräfte aufgerieben.

Gleichzeitig befestigte das wirtschaftliche Zweckbündnis zwischen Industriellen und Großgrundbesitzern den Einfluss der alten preußischen Führungsschicht, die den konservativen Kurs der Regierung unterstützte.

Die ideologische Mittel des Wirtschaftskampfes zur Durchsetzung des Schutzzolls und gleichzeitigen Propagandafeldzugs für das Sozialistengesetz zeigten die Parolen konservativer Anhänger: 'Der Rechtsstaat hat sich überlebt! Wir müssen zum Patrimonial- und Patriarchalstaat zurückkehren!'

1878/79 ging die liberale Ära zu Ende.

Die Beamtenschaft in Regierung und Verwaltung wurden weitgehend durch Anhänger des konservativen Kurses ersetzt, die liberalen Minister in Preußen traten zurück.

Die nun eingesetzte neue Organisation der Reichsbehörden und Finanzreform verstärkte die Reichsgewalt und damit die Macht des Reichskanzlers. Otto von Bismarck stand in der Höhe seiner Machtbefugnisse, im Zeichen von den 'Junkern' beherrschten Landwirtschaft, Schwerindustrie und konservativer Staatsführung.

Nach dem Amtsantritt des jungen Kaisers Wilhelm II., 15.06.1888, er wollte selbst Kanzler sein, 20.03.1890, wurde Otto von Bismarck entlassen und seiner Amtsgeschäfte entledigt, stürzte das Reich in eine tiefe Regierungskrise.

Der Versuch ein persönliches Regiment zu errichten, eine Selbstherrschaft, die von den Ministern nur die gehorsame Erfüllungen der kaiserlichen Wünsche verlangte, schlug gänzlich fehl.

Für einen umfassenden Überblick zu einer diplomatisch geschickten Leitung und Führung, sowohl in der Innen- und Außenpolitik, fehlten dem jungen Kaiser die erforderlichen Kenntnisse und die Fähigkeit das komplizierte Nebeneinander der Instanzen: Reichskanzler;  Reichstag; Militär; Reichsämter; Bundesrat; preußisches Staatsministerium;  preußischer Landtag; Parteien.

Zwar wurde ein 'Neuer Kurs' angekündigt, das Sozialistengesetz wurde aufgehoben und eine umfangreiche Gesetzgebung zum Schutz Arbeiter angekündigt. Es gelang aber nicht die Arbeiterschaft mit dem nun angestrebten 'sozialen Kaisertum' zu versöhnen. Ein Übergang zum Imperialismus bildete dann den letzten Versuch die innenpolitischen Spannungen durch außenpolitische Erfolge zu überdecken.

Die neue 'Weltpolitik' verstärkte eher den Machtanspruch der Konservativen, die mit nationalen Sammlungsparolen, vor allem in den Propagandafeldzügen für eine starke deutsche Flotte, eine breite Anhängerschaft für sich gewinnen konnte.

Die euphorische Aussage Kaiser Wilhellms II. das Deutsche Reich sei eine 'Weltmacht' wurde zwar bejubelt, aber in Wirklichkeit waren die Erfolge gering, der Preis für die Prestigepolitik zu hoch.

Deutschland geriet in eine selbstverschuldete Isolierung durch den Zusammenschluss der weltpolitischen Konkurrenten England, Frankreich und Rußland.

Das Mißlingen der Weltpolitik führte schließlich zu einer blinden Flucht nach vorn, in die Katastrophe der Ersten Weltkrieges.

Es kündigte sich bereits der innere Zerfall der feudalistisch konservativen Reichsmacht, bezogen alleinig auf den Monarchen, an.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2004, Horst Biehl


- Das Wilhelminische Preußen nach dem 15. Juni 1888 -

 
 

Die dreißigjährige Regentschaft Wilhelms II. im Deutschen Reich (von 1888 bis 1918) wird als die wilhelminische Epoche bezeichnet. Wesentliches Merkmal war das Streben des Kaisers, das Reich als wichtige politische Größe unter den bestehenden Weltmächten zu etablieren. Als Deutscher Kaiser sah er seine Aufgabe darin: „Allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung!"; wie bereits schon sein Großvater Wilhelm I. formuliert hatte. Wilhelm II. legte viel Wert auf internationales Prestige. Eng verbunden mit diesem Anspruch waren die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs sowie die Forcierung der Kolonialpolitik in Afrika und der Südsee. Das Jahr 1888 ging als Dreikaiserjahr in die Geschichte ein. Nach dem Tod Wilhelms I. am 9. März 1888 regierte Friedrich III. auf Grund seines bereits fortgeschrittenen Krankheitszustandes, von dem er sich nicht mehr erholte, nur für 99 Tage und starb am 15. Juni in Potsdam.

 
     

Mit dem Antritt Kaiser Wilhelm II. stand das Reich noch stark unter der Prägung Otto von Bismarck. Schwere Krisen, die nicht nur durch die Folgen des ungehemmten wirtschaftlichen Aufschwungs bestimmt waren, kennzeichneten die innere Entwicklung des Reiches. Otto von Bismarck war nach drei siegreichen Kriegen 1864, 1866, 1870/71 und als Vereiniger Deutschlands zur stärksten kontinental europäischen Macht ein weltweit respektierter Staatsmann. Wilhelm I. und Friedrich III. hatten ihm gelegentlich widersprochen, aber am Ende stets vertraut. Von diesem Vertrauen hing nach der Reichsverfassung der Reichskanzler auch ab, nicht vom Vertrauen des Reichstags. Otto von Bismarck hatte selbstbewusst darauf aufgebaut, auch den dritten Kaiser lenken zu können. Kaiser Wilhelm II. aber verfolgte andere politische Wege und Ziele.

In der Regierungszeit Otto von Bismarcks hatte das Deutsche Reich einer „Kanzlerdiktatur" geglichen, deren politische Ziele nicht die des jungen Kaisers waren.

Otto von Bismarck wollte Russland als einen starken Verbündeten, Wilhelm II. vertraute hingegen auf Österreich-Ungarn.

Otto von Bismarck wollte den „Kulturkampf" gegen den politischen Katholizismus fortsetzen, der Wilhelm II. war strikt dagegen.

Otto von Bismarck wollte das Sozialistengesetz verschärfen, Wilhelm II. es abschaffen: „Ich will meine ersten Regierungsjahre nicht mit dem Blut meiner Untertanen färben!" :so seine Erwiderung.

Am 20. März 1890 schließlich entließ Wilhelm II. seinen „Eisernen Kanzler".

Otto von Bismarck akzeptierte dies nie und sorgte indirekt durch vielfach lancierte Kritik an den „Hintermännern" der wilhelminischen Politik und durch sein Memoirenwerk Gedanken und Erinnerungen für nachhaltige Kritik an Wilhelm II.

Der Rücktritt Otto von Bismarcks war somit zwar innenpolitisch begründet, aber langfristig gesehen vor allem außenpolitisch fatal.

Aus Wien erinnerte Kaiser Franz Joseph I. eingedenk des 1866er Friedens von Wien in einem Brief sofort und explizit an Otto von Bismarcks Verdienste.

Als Nachfolger Otto von Bismarcks ernannte Wilhelm II. General Leo von Caprivi, der von nun als „Mann der rettenden Tat" gefeiert und ob seiner Leistungen in den Grafenstand erhoben wurde.

Mit Leo von Caprivi glaubte Wilhelm II. eine anerkannte Persönlichkeit gefunden zu haben, mit der er seine geplante Politik der inneren Versöhnung sowie das Arbeitsschutzgesetz durchzusetzen hoffte.

Ein wichtiges außenpolitisches Ereignis fiel in das Jahr des Kanzlerwechsels; der  Rückversicherungsvertrag.

Der Rückversicherungsvertrag mit Russland widersprach teilweise den Bedingungen des Dreibundpaktes mit Italien und Österreich-Ungarn. Der Kaiser war gegen eine Verletzung des Dreibundpaktes, während Otto von Bismarck den Rückversicherungsvertrag seinerzeit für unbedingt notwendig gehalten hatte. Von der Öffentlichkeit unbemerkt und von  Leo von Caprivi hingenommen, es handelte sich beim  Rückversicherungsvertrag um einen Geheimvertrag, wurde der 1890 auslaufende Vertrag vom Deutschen Reich bewusst nicht erneuert. In Russland nahm man realistischer Weise einen deutschen Kurswechsel an und begann sich Frankreich anzunähern.

Leo von Caprivis Kanzlerzeit wurde durch eine entschiedene Englandfreundlichkeit geprägt. Innenpolitisch war Leo von Caprivi einer der Hauptverantwortlichen für den Wandel des Deutschen Reiches, von der Agrarwirtschaft zur industriellen Exportwirtschaft. Die Reformen in diesem Zeitraum trugen dazu bei, dass Deutschland wenig später Großbritannien überholte und zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aufgestiegen war.

Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands während Wilhelms II., verbunden mit technologischem, naturwissenschaftlichem und industriellem Fortschritt, hatte eine auch vom Wilhelms II. mitgetragene, allgemein verbreitete Technik- und Fortschrittsgläubigkeit, begünstigt. Innenpolitisch setzte Wilhelms II. die für ihre Zeit als modern und fortschrittlich geltende Sozialpolitik Otto von Bismarcks fort und erweiterte sie.

Wilhelms II. setzte sich für die Abschaffung des Sozialistengesetzes ein und suchte, teilweise erfolglos, den Ausgleich zwischen ethnischen und politischen Minderheiten.

Wilhelm II. wollte sowohl die Innen- als auch Außenpolitik des Reiches wesentlich stärker beeinflussen als sein Großvater Wilhelm I. Das „persönliche Regiment" des Kaisers war jedoch oft eine von häufig wechselnden Beratern gesteuerte Politik, die die Entscheidungen Wilhelms II. oft widersprüchlich und letztlich unberechenbar erscheinen ließen. Die Februarerlasse Wilhelms II. in den ersten Jahren seiner Regentschaft weckten in der Arbeiterschaft zunächst Hoffnungen auf einen sozialen Wandel im Reich. Die Sozialpolitik lag Wilhelm II. durchaus am Herzen. Allerdings folgten seinen sozialen Reformen keine strukturellen Veränderungen im Reich, im Gegenteil, er baute seinen politischen Einfluss noch aus und lehnte eine Demokratisierung der Verfassung ab. Preußen behielt das seit Anfang der 1850er Jahre bestehende undemokratische Dreiklassenwahlrecht, das eine repräsentative Landtagsvertretung verhinderte. Nach wie vor wurde die Regierung nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom Kaiser ohne Berücksichtigung der parlamentarischen Verhältnisse bestimmt oder entlassen. Es war dem Kanzler aber auch nicht möglich, ohne Mehrheit im Parlament Gesetze zu erlassen oder den Haushalt zu beschließen. Noch während Otto von Bismarcks Kanzlerschaft verkündete Kaiser Wilhelm II. in einer Proklamation an sein Volk die Devise 'Je veux être un roi des gueux.' und forderte das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, der Frauenarbeit während der letzten Schwangerschaftsmonate sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren.

 

Außerdem forderte Wilhelms II. bei dem zur Erneuerung anstehenden Sozialistengesetz weitere Verfolgungen durch die Polizeibehörden. Wilhelm II. war bei allen sozialen Ambitionen so wenig ein Freund der Sozialdemokratie, wie Otto von Bismarck es gewesen war. Im Gegenteil hoffte er, durch seine Reformen die Sympathien für die trotz der Sozialistengesetze erstarkte Sozialdemokratie zu schwächen und durch die Aufhebung des repressiven Sozialistengesetzes der 1890 von SAP in SPD umbenannten Partei ihren Märtyrerbonus zu nehmen. Die Sozialdemokraten ihrerseits ließen sich nicht von den Reformen Wilhelms II. beeindrucken und setzten aus ihrem antimonarchistischen Selbstverständnis heraus weiter auf fundamentale Opposition. Obwohl die Sozialdemokraten den Fortschritt der im Arbeitsschutzgesetz zusammen gefassten Reformen sahen, stimmten sie im Reichstag dagegen, sie forderten grundlegende strukturelle Veränderungen, wie zum Beispiel eine Verfassungsänderung, Demokratisierung, ein ausgeweitetes Wahlrecht, Vorrang des Parlaments bei politischen Entscheidungen, eine Umstrukturierung des Haushalts, deutliche Senkung der Rüstungsausgaben, Freiheit für die Kolonien und anderes mehr.

Für den Kaiser wahren dies unerfüllbare Anliegen, die seinen Hass auf die Sozialdemokratie noch gesteigert hatte.

Der Wohlstand der deutschen Arbeiterschaft stieg von Jahr zu Jahr, doch gelang es Wilhelm II. nicht, den Arbeitern in den Städten das Gefühl zu geben, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft zu sein, was zu starken Anwachsen an Stimmen der Sozialdemokraten im Reichstag und den Landtagen der Länder führte. Diese Vorgänge ließen in Wilhelm II., der immer noch „ein König der Armen" sein wollte, das Urteil reifen, dass eine Versöhnung mit den Sozialdemokraten nicht möglich sei.

Wilhelm II. lies schließlich in Königsberg „zum Kampf für Religion, Sitte und Ordnung, gegen die Parteien des Umsturzes!" aufrufen.

Schon 1887 hatte Wilhelm II., noch als Prinz, mit seiner Gemahlin den Evangelischen Kirchlichen Hilfsverein für Berlin gegründet, weil er glaubte, durch Förderung der Kirchen die 'Soziale Frage' lösen zu können; dem folgte 1890 der Evangelische Kirchenbau-Verein in Berlin, mit dessen Hilfe er auch außerhalb Berlins auf Kirchbauten im Reich Einfluss nahm. Zugleich manifestierte er damit seine Vorstellung einer neuen Verbindung von 'Thron und Altar' in Fortführung einer Linie von Konstantin dem Großen über Otto den Großen zu sich selbst.

Die turbulente Ersetzung des alten Deutschen Bundes durch das neu geschaffene Deutsche Reich ohne die deutschen Österreicher – die Kleindeutsche Lösung – brachte einige Probleme mit sich. Die rheinländische, süddeutsche und polnische Opposition gegen die preußische Vorherrschaft stützte sich auf das sich politisierende katholische Bürger-, Arbeiter- und Bauerntum; als Partei des politischen Katholizismus formierte sich das 'Zentrum'. Die Versuche Otto von Bismarcks, die katholischen Parteien in ihrer Arbeit zu behindern, führten zu Eingriffen in das Leben der Katholiken. Auch die Judenintegration, die es vorher außer in Preußen nur in wenigen anderen Staaten gab, war jung, und der merkliche soziale Aufstieg der jüdischen Bevölkerung nährte Neid und Antisemitismus in der Bevölkerung. In den östlichen Gebieten Preußens, vor allem in der Provinz Posen, gab es eine starke Unterdrückung der polnischen Minderheit, die zu Unruhen und Gefühlen der Ungerechtigkeit führte.

Der Kaiser hatte die Ernsthaftigkeit dieser Probleme erkannt und hatte sie als eine seiner Hauptaufgaben bezeichnet.

Am besten gelang die Integrationspolitik gegenüber den Katholiken. Sie waren durch den Otto von Bismarckschen Kulturkampf benachteiligt und an der Teilnahme am politischen Leben sowie an der freien Ausübung ihrer Religion gehindert worden. Schon zu seiner Prinzenzeit war Wilhelm gegen diese Praktiken und befürwortete die Beendigung des Kulturkampfes. Um die Einigkeit zwischen Protestanten und Katholiken im Reich zu verbessern, zahlte das Reich die den Opfern vorenthaltenen Gelder zurück, hatte allerdings nicht alle gefassten Beschlüsse und Gesetze dieser Zeit wieder aufgehoben. Die östlichen Provinzen Preußens waren damals von einer Mehrheit von Deutschen bewohnt, davon eine Minderheit von Polen, dazu regional von Kaschuben und Masuren; in der Provinz Posen stellten die Polen die Mehrheit. Seit Otto von Bismarck versuchte der Staat, die hier lebenden Polen zu germanisieren, was allerdings misslang und in offenen Protest mündete. Wilhelm II. hob viele dieser Repressionen auf, die vor allem die Unterrichtssprache und später auch die des Gottesdienstes geregelt hatten, und erkannte die Polen als eigenes Volk und Minderheit im Deutschen Reich an.

Bei den Reichstagswahlen 1880 zogen zum ersten Mal mehrere antisemitische Parteien in den Reichstag ein. Mit fünf Abgeordneten bildeten sie die 'Fraktion der Antisemiten'. Grund für den gestärkten Antisemitismus waren wohl die 'Gründerkrise' und die als relativ stark empfundenen wirtschaftlichen Erfolge jüdischer Unternehmer. Die Juden waren im 1871 gegründeten Deutschen Reich zum ersten Mal freie und gleiche Bürger.

Die Einschränkungen waren aufgehoben, die sie, von Land zu Land unterschiedlich, teils zu Schutzbefohlenen eines Herrschers machten und ihnen wirtschaftliche Beschränkungen auferlegten oder ihnen bestimmte Berufsverbote erteilten. Auch der Dienst bei Militär, in Schulen oder der Justiz stand ihnen jetzt offen.

Bei seiner Integrationspolitik kam Kaiser Wilhelm II. der Parlamentarismus im Reich entgegen.

Die Wahl wurde in Einmannwahlkreisen mit absolutem Mehrheitswahlrecht durchgeführt. So hatten die Dänen mit ein bis zwei Abgeordneten, die Elsass-Lothringer mit acht bis 15 Abgeordnete und die Polen 13 bis 20 Abgeordnete,   von  1871   bis  zur  letzten

 

Wahl 1912 stets ihre Fraktion im Reichstag. Die Juden organisierten sich nicht in einer eigenen Partei, dies widersprach ihrem Selbstverständnis deutsche Staatsbürger zu sein, welches durch lange Tradition besonders in Preußen sehr stark ausgeprägt war. Das Wahlsystem grenzte aber auch politische Minderheiten nicht aus, dies lies zu, dass sich auch die preußenfeindlichen Welfen, aber vor allem die Antisemiten aus der Christlich-Sozialen Partei und der Deutschen Reformpartei neu organisieren konnten; die Zahl ihrer Abgeordneten überschritt aber nie die Zahl der Abgeordneten aus den Parteien der ethnischen Minderheiten.

Leo von Caprivi setzte einen weiteren von Otto von Bismarck verwehrten Wunsch Wilhelms II., die progressive Einkommensteuer von 1891, die vorsah höhere Einkommen stärker zu belasten.

Durch die industriefreundliche und exportorientierte Eindämmung des Protektionismus zog sich  Leo von Caprivi die Feindschaft der im Bund der Landwirte organisierten Grundbesitzer zu, die sehr eng mit der Konservativen Partei verbunden waren. Die nach Abschaffung der Schutzzölle wachsenden Agrarexporte aus der USA bewirkten für sie einen Preisverfall. Durch die Förderung des Einsatzes von Landmaschinen konnte man die Verluste zwar teilweise auffangen, erhöhte aber die agrarprotektionistischen Ansprüche der ohnehin unterkapitalisierten und zu Investitionen genötigten Großgrundbesitzer.

1893 löste Wilhelm II. den 1890er Reichstag auf, weil der die auch von ihm gewünschte Aufrüstung des Heeres abgelehnt hatte. Im darauffolgenden Wahlkampf siegten die Befürworter der wilhelminischen Politik aus der Konservativen und Nationalliberalen Partei. Auch die gegen  Leo von Caprivis Widerstand propagierte Aufrüstung der Kaiserlichen Marine, wurde in der Folgezeit von Wilhelm II. gefördert.

Im Januar 1894 kam es zu einem Aussöhnungstreffen mit Otto von Bismarck.

Am 26. Oktober 1894 wurde  Leo von Caprivi entlassen. Wilhelm berief erstmals einen Nichtpreußen, den bayerischen Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, er sollte anders als seine beiden Vorgänger keinen Führungsehrgeiz entwickeln.

1895 wurden der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der heutige Nord-Ostsee-Kanal, fertiggestellt und die Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven in großem Maßstab ausgebaut.

In diesem Zusammenhang besetzte und pachtete das Deutsche Reich die chinesische Hafenstadt Tsing-tao auf 99 Jahre.

Wilhelm II. erkannte trotz seiner Englandfreundlichkeit nicht, dass damit die weltweite Hegemonialmacht Großbritannien aufs Äußerste beunruhigt wurde. Der anhaltende deutsche Kolonialismus – gegen den Otto von Bismarck und Leo von Caprivi sich noch gewehrt hatten – wurde von Wilhelm II. nicht als riskant gegenüber den Großmächten England, Frankreich und Japan erkannt und gebilligt: 1899 erwarb das Reich die Karolinen, Marianen, Palau und 1900 Westsamoa.

1896 versäumte Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst es, Wilhelm II. von der „Krüger-Depesche" abzuhalten, einem Glückwunschtelegramm an die Buren zur Abwehr des britischen Jameson Raid, die in Großbritannien mit Empörung aufgenommen und nachhaltig als Abkehr von der englandfreundlichen Politik Leo von Caprivis gedeutet wurde. 1900 ersetzte Wilhelm II. Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst durch Graf Bernhard von Bülow, der als Reichskanzler weder die anstehenden innenpolitischen Reformen betrieb noch die sich neu gruppierenden außenpolitischen Konstellationen, in Deutschland als Einkreisungspolitik empfunden, zu meistern vermochte. Das Verhältnis zu Frankreich wurde jedenfalls nicht verbessert, England nun auch durch die Flottenpolitik herausgefordert und Russland auf dem Balkan nicht gegen die Österreichisch-Ungarische Monarchie unterstützte.

Wilhelm II. vertraute Bernhard von Bülow bis zur Daily-Telegraph-Affäre 1908 und den Eulenburg-Prozessen.

Friedenspolitisch ergriff Wilhelm II. erst 1905 eine Initiative: Im Sinne einer Wiederannäherung an Russland, das gerade seinen Krieg gegen Japan zu verlieren drohte, schloss er mit Nikolaus II. den Freundschaftsvertrag von Björkö; Frankreich sollte einbezogen werden. Der Vertrag wurde allerdings schon 1907 von Russland für gegenstandslos erklärt, weil er mit der französisch-russischen Annäherung, die inzwischen stattgefunden hatte, nicht vereinbar war. Diese Annäherung hatte sich ergeben, nachdem Wilhelm II. 1906 in der Ersten Marokkokrise durch seinen Besuch in Tanger Frankreich herausgefordert hatte. Resultat war überdies eine Verschlechterung der Beziehungen zu Japan, das bisher Preußen/Deutschland als wissenschaftlichen und militärischen Lehrmeister angesehen hatte.

1908 wurde Wilhelms Hilflosigkeit durch die Daily-Telegraph-Affäre deutlich: Er beschwerte sich in einem Interview mit der Zeitung über seine eigene Regierung – sie sei nicht englandfreundlich genug - Otto von Bismarck war ein Meister darin gewesen, seine Politik medial zu flankieren - bei Wilhelm II. dagegen sollten das Interview und markige Reden die Politik ersetzen. Ein besonders eklatantes Beispiel hatte der Kaiser mit der bereits am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltenen Hunnenrede gegeben. Mit dem Interview im Daily Telegraph fiel er nunmehr der Reichspolitik in den Rücken, indem er darin erklärte, er sei ein guter 'Beschützer Englands', hielte er doch die anderen europäischen Mächte immer davor zurück, England zu provozieren. Dies wurde in England als Ärgernis empfunden: Es lasse sich von niemandem beschützen und empfand das Interview als Anmaßung. Wilhelm knickte angesichts des deutschen Pressesturms ein und versprach, sich künftig außen- wie auch innenpolitisch zurückzuhalten.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2004, Horst Biehl


- Die Vorboten zum Ersten Weltkrieg bis zur Abdankung Wilhelm II. -

 

Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 wurde Wilhelms II. strategische und taktische Unfähigkeit offenbar. Ab 1916 enthielt er sich zunehmend relevanter politischer Entscheidungen und gab die Führung des Reiches faktisch in die Hände der Obersten Heeresleitung, namentlich in die der Generale Paul von Hindenburg und Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff, die die konstitutionelle Monarchie während der letzten Kriegsjahre mit starken Zügen einer Militärdiktatur versahen. Als sich Wilhelm II. infolge der Novemberrevolution, die zum Ende der Monarchie und zur Ausrufung der Weimarer Republik führte, zur Abdankung bewegen ließ und in die Niederlande ins Exil ging, hatte das Deutsche Kaiserreich den 'Großen Krieg' bereits verloren. Etwa 10 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern gefallen.

 
 

Inzwischen hatte die Presse begonnen, den Kaiser grundsätzlich kritisch zu sehen. 1906 wurde in der Zeitschrift 'Die Zukunft' die Kamarilla um den Kaiser und damit das 'Persönliche Regiment' des Kaisers angegriffen; das Ansehen des Kaisers wurde nachhaltig beschädigten.

1909 zerbrach der so genannte Bülow-Block, in dem sich die regierungsunterstützenden linksliberalen Parteien sowie die Nationalliberale und die Konservative Partei zusammengeschlossen hatten. Auslöser war der Versuch Bernhard von Bülows, das preußische Wahlrecht zu reformieren. Die dominierenden Konservativen im preußischen Landtag verweigerten ihm daraufhin die Gefolgschaft. Die Sozialdemokraten und Zentrumspartei, die diesen Versuch in seinen Grundsätzen unterstützten, verweigerten trotzdem die Zusammenarbeit mit Bernhard von Bülow. Sie warfen ihm Prinzipienlosigkeit vor, da er erst kurz zuvor in Zusammenarbeit mit den Konservativen neue Repressalien gegen die polnische Minderheit durchgesetzt hatte. Die Germanisierungspolitik wurde auf Betreiben Kaiser Wilhelms eingeschränkt. Um sich die Loyalität der Konservativen Partei zu sichern, erleichterte Bernhard von Bülow die Enteignung von polnischen Gütern. Kaiser Wilhelm II. ignorierte dies zunächst, um die stabile Parlamentsmehrheit nicht zu gefährden; doch entließ er Bernhard von Bülow und ernannte Theobald von Bethmann-Hollweg zum Reichskanzler.

Wilhelm II.  überließ Theobald von Bethmann-Hollweg die Außenpolitik, der aber die gesteckten Ziele, Wiederannäherung an England und Distanzierung von der antirussischen Balkanpolitik Österreich-Ungarns, nicht erreichte.

Die antifranzösische Politik wurde 1911 in der zweiten Marokkokrise durch deutschen Interventionismus im 'Panthersprung nach Agadir' verschärft. Heer und Flotte wurden weiter verstärkt. Markante Eingriffe Wilhelms unterblieben. Der Kaiser war zwar Militarist, aber kein Bellizist, er wollte trotz seiner kriegerischen Reden im Grunde keinen Angriffs- oder Präventivkrieg. Er tat aber auch wenig, um dies deutlich zu machen.

Insgesamt ist Wilhelms II. Anteil an der deutschen Außenpolitik umstritten. Unbestritten ist, dass der Kaiser nicht als Koordinator zwischen Außen-, Heeres- und Flottenpolitik gewirkt hatte. So kam es, dass Reichskanzler, Heeres- und Marineleitung jeweils unterschiedliche Ziele verfolgten, die miteinander nicht vereinbar waren.

In der Julikrise 1914 spielte Wilhelm II. eine ambivalente Rolle. Er versuchte einerseits, den Frieden zu retten, andererseits drängte er zum Losschlagen. Faktisch steigerte der Kaiser letztlich die Kriegsgefahr, denn er ermächtigte den Kanzler, nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914, Österreich-Ungarn eine Blankovollmacht für dessen aggressive Politik gegen Serbien zu erteilen.

Obwohl die Stärke Deutschlands immer mehr zugenommen hatte, hielt Wilhelm II. mit seinen Ängsten vor 'Sozialismus', 'Gelber Gefahr', 'slawischer Flut' und seiner Idee vom 'unvermeidlichen Gegensatz von Slawen und Germanen', die Zeit für die letzte Abrechnung gekommen. Dabei unterschätzte er den serbienfreundlichen Panslawismus, mit dem seit 1905 die russische Politik die Unruhen im eigenen Reich zu bändigen fest entschlossen war.

Faktisch wurde nach der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien die Außenpolitik von Kaiser und Kanzler dem deutschen Generalstab überlassen: Die entschlossene Mobilmachung im Russischen Reich erlaubte es nach dem Urteil der Generalität dem Deutschen Reich nicht, mit der Kriegserklärung an Russland und Frankreich länger zu warten, da sonst der deutsche Schlieffen-Plan, bei einem Zweifrontenkrieg erst schnell Frankreich, dann Russland, zu schlagen, undurchführbar zu werden drohte. Wilhelm mischte sich in der Folge nicht in militärische Zielsetzungen ein, überließ diese aber nicht verfassungsgemäß dem Reichskabinett, sondern der Obersten Heeresleitung. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges 1914–1918 wurde die Bedeutung Wilhelm II. immer geringer, besonders mit der Dritten Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und dem dominierenden Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff wurde

 

Wilhelm II.  1916 – 1918  zunehmend von einer politisch-militärischen Entscheidung ausgeschlossen.

Die Heeresleitung jedoch hatte 1917 Wilhelm II. die auch im Reich umstrittene Entscheidung über  die Wiederaufnahme  des  nach  dem Lusitania-Zwischenfall 1915 eingestellten 'uneingeschränkten' U-Boot-Kriegs zugeschoben. Wilhelm II. schloss sich, gegen den Rat seines Reichskanzlers, der Meinung der Militärs an, was im April 1917 zur Kriegserklärung der USA führen sollte.

Ab 1917 hatte Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff eine faktisch diktatorische Position. Auf einen weiteren Wechsel des Reichskanzlers nahm Wilhelm II. keinen Einfluss, die 1918er Reform der Reichsverfassung in Richtung auf eine parlamentarische Monarchie wurde ohne ihn versucht. Die 'stille Diktatur der OHL' war auch durch die Schwäche Kaiser Wilhelms II. bedingt, der in den beiden letzten Kriegsjahren immer hilfloser agierte.

Am 13. Mai 1917 präsentierte Wilhelm II. seinem Staatssekretär für Äußeres ein Kriegszielprogramm, das die Bestrafung aller Gegner, sogar der USA, in Form von Reparationen vorsah. Neben ausgedehnter kolonialer Expansion – Malta, Zypern, Ägypten, Mesopotamien an die Türkei, Madeira, Kapverden, den Azoren und der Kongo an Deutschland – erwartete er die Anbindung der autonomen Länder Polen, Kurland, Litauen, Ukraine, Livland und Estland an sein Reich. Außerdem forderte er unrealistische Kriegsentschädigungen von allen Kriegsgegnern.

Wilhelm II. stand gerade in dieser Zeit im Hintergrund, er hatte selten ein entscheidendes Wort mitzureden, so dass sein Programm in Kreuznach nicht sehr ernst genommen wurde und nur, was den kolonialen Bereich betraf, in der politischen Planung berücksichtigt wurde.

1918 autorisierte Wilhelm II. den Plan, Russland nach Abtretung Polens, des Baltikums und des Kaukasus in vier unabhängige 'Zarentümer' zu teilen: die Ukraine, den Südostbund als antibolschewistisches Gebiet zwischen der Ukraine und dem Kaspischen Meer sowie in Zentralrussland und Sibirien. Diese Form der Beherrschung ergäbe eine 'Brücke nach Zentralasien zur Bedrohung der britischen Stellung in Indien'. Der Plan eines 'Südostbundes' stand dabei in Konkurrenz zu osmanischen Absichten.

Kanzler Hertling, der Livland und Estland in gewisser Ferne als freundschaftlich uns angeschlossene Staaten bezeichnete, wurde von Wilhelm zurückgewiesen: „Unsinn! Das Baltikum ist eins, und ich werde sein Herr und dulde keinen Widerspruch, Ich habe es erobert und kein Jurist kann es mir nehmen!"

Wilhelm sah sein protestantisches Kaisertum, vor allem im Gegensatz zum Haus 'Habsburg-Parma', zunehmend als seine Sendung an: "Das ultrabigotte Haus Parma erstrebt eine konfessionelle Einkreisung des vom verhaßten Hohenzollernhaus regierten Deutschlands. Unter Wiens Führung, sollen im Bündnis mit Wilhelm II., Italien, durch Rückgabe von Trentino und Tirol gewonnen, Frankreich, Polen und Litauen bis ans Meer vereinigt werden! Daher Polens Selbständigkeit und die Wiederaufnahme der in Homburg beseitigten austropolnischen Lösung. Daher ein selbständiges Litauen unter katholischen Fürsten. Daher der Widerstand gegen unsere Angliederung des Baltikums inklusive Liv- und Estland, die Litauen angeschlossen und katholisiert werden sollten, um uns vom Meer abzuschneiden.!"

Matthias Erzberger, der diesen Interessen des verhaßten Hohenzollernhaus  diente, wurde von Kaiser Wilhelm als ein schurkenhafter Verräter angesehen, der unschädlich gemacht werden muß.

Nach der gescheiterten Frühjahrsoffensive im Westen 1918, den Erfolgen der Westalliierten an der Westfront und dem drohenden Zusammenbruch des verbündeten Österreich-Ungarn, verlangte die Oberste Heeresleitung Ende September 1918 ein Waffenstillstandsgesuch an die Kriegsgegner zu richten und zugleich die Regierung des Deutschen Reichs auf eine parlamentarische Grundlage zu stellen.

In mehreren diplomatischen Noten machte US-Präsident Woodrow Wilson die Gewährung des Waffenstillstands indirekt von einer Abdankung des Kaisers abhängig. Die USA weigerten sich, vorher Friedensverhandlungen aufzunehmen.

 

Da sie infolge von Wilsons 14-Punkte-Programm als die gemäßigtste der kommenden Siegermächte galten, fand seine Forderung Widerhall in Deutschland. Am 16. Oktober 1918 empfahl die Fortschrittliche Volkspartei Wilhelm II. die freiwillige Abdankung. Reichskanzler Prinz Max von Baden betrieb diese seit dem 28. Oktober; am Tag darauf reiste Wilhelm auf Anraten insbesondere Friedrich von Bergs von Berlin zum Großen Hauptquartier im belgischen Spa ab. In Anbetracht der Stimmung im Volk und der Meinung des Kabinetts hielt Wilhelm die Armee noch am ehesten für loyal. Diese Hoffnungen zerschlugen sich im Laufe des Kieler Matrosenaufstands und der Novemberrevolution. Um radikaleren Forderungen der Revolutionäre die Spitze zu nehmen, verlangten auch die Mehrheit der Sozialdemokraten ab dem 7. November den Rücktritt von Kaiser und Kronprinz. Am Tag darauf sprach sich auch das katholische Zentrum für die Abdankung aus.

Der zu diesem Zeitpunkt politisch paralysierte Monarch sah sich nun mit drei Optionen konfrontiert. General Groener vertrat, auch gestützt auf das Ergebnis einer Befragung von 39 Generalen und Regimentskommandeuren, die Auffassung, dass das Heer nicht mehr in der Hand der Befehlshaber sei; ein militärisches Vorgehen gegen die Revolution sei zwar wünschenswert, aber vorerst unmöglich, insbesondere mit dem Kaiser an der Spitze. Groeners Analyse, die implizit nahelegte, dass der Kaiser verschwinden müsse, wurde – nach dem Krieg eine ständige Quelle der Verlegenheit – de facto von Hindenburg gedeckt und fand in Paul von Hintze und Werner Freiherr von Grünau zwei energische Fürsprecher, die auch die 'Holland-Lösung' ins Gespräch brachten. Eine andere Gruppe um General Friedrich Graf von der Schulenburg, Stabschef der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, hielt dagegen einen 'Marsch auf Berlin', also die militärische Zerschlagung der Revolution, für durchführbar. Dieser Position neigte zunächst auch Wilhelm zu. Die dritte Möglichkeit wurde von der militärischen Entourage des Kaisers nur in Andeutungen ausgesprochen: Der Monarch solle sich nach vorn an die Front begeben, um dort den Tod zu suchen. Eine solche Geste würde, so die Spekulation vor allem jüngerer Generalstabsoffiziere, einen völligen Meinungsumschwung zugunsten der Dynastie bzw. der Monarchie als Institution herbeiführen.

Die letzte, von den Ereignissen bereits überholte Initiative Wilhelms war der am späten Vormittag des 9. November gefasste Entschluss, zwar als Kaiser, nicht aber als preußischer König abzudanken. Die Revolution hatte mittlerweile Berlin erfasst. Während in Spa an einer entsprechenden Abdankungsurkunde gearbeitet wurde, traf die Nachricht ein, dass Max von Baden seinerseits die Abdankung Wilhelms als Kaiser und König bekanntgegeben und Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers übertragen hatte. Durch dieses Manöver versuchte der badische Prinz in letzter Minute, den revolutionären Druck zu kanalisieren und die faktisch schon nicht mehr bestehende Monarchie als solche zu retten. Am selben Tag wurde von der SPD und vom Spartakusbund die Republik ausgerufen.

Da Gerüchte umliefen, dass die Mannschaften in der Umgebung des Hauptquartiers nicht mehr zuverlässig seien, übersiedelte der Kaiser am Abend des 9. November in den Hofzug und fuhr am frühen Morgen des nächsten Tages ab, nachdem von anmarschierenden Aufständischen berichtet worden war. In der Nähe des niederländischen Ortes Eijsden, südlich von Maastricht bat er die Niederlande um Internierung. Durch Vermittlung der niederländischen Regierung fand Wilhelm II. anschließend mit seinem Gefolge Unterkunft bei Graf Bentinck in Amerongen.

Der im konservativen Milieu weithin als Fahnenflucht empfundene, kampflose Abgang des Kaisers war noch bis in die 40er Jahre Gegenstand einer Debatte, in der phasenweise erbittert über die Deutung des Ereignisses und die Frage der Verantwortung gestritten wurde.

Wilhelm II. dankte offiziell am 28. November 1918 ab, 19 Tage nach Ausrufung der Republik, nach eigener Aussage in der Hoffnung, die Situation im Reich zu stabilisieren. Er gab jedoch nie den Wunsch auf, wieder auf den Thron zurückzukehren.

- Text der Abdankungsurkunde -

            "Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preussens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde Ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen!"

"Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel."

Gegeben Amerongen, den 28. November 1918.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2004, Horst Biehl


- Die Weimarer Republik - Überblick -

 
 

Als Weimarer Republik wird der Abschnitt der deutschen Geschichte von 1918 bis 1933 bezeichnet, in der erstmals eine parlamentarische Demokratie in Deutschland bestand. Diese Epoche begann mit der Ausrufung der Republik am 9. November 1918. Die Weimarer Republik entstand im Zuge der Novemberrevolution, ihren Namen erhielt sie als eine erste auf nationalstaatlicher Ebene verwirklichte deutsche Republik nach der thüringischen Stadt Weimar; dem ersten Tagungsort der verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung. Nachdem zunächst in der aufkommenden Räterepublik der Rat der Volksbeauftragten die Regierungsgewalt ausgeübt hatte, wurde auf Beschluss des Reichsrätekongresses am 19. Januar 1919 die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung abgehalten. Am 11. Februar wählte die Nationalversammlung Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten, der am 13. Februar das Kabinett Scheidemann ernannte. Die Weimarer Reichsverfassung trat am 14. August 1919 in Kraft; sie konstituierte das Deutsche Reich als föderative Republik. Mit der Schlussabstimmung über die Annahme der Verfassung am 31. Juli 1919 und ihrem Inkrafttreten am 14. August endete die Gründungsphase der Weimarer Republik. - Bei den schwierigen Verhandlungen hatten sich 265 Abgeordnete für die Weimarer Verfassung ausgesprochen, 75 dagegen; 86 Mitglieder der Nationalversammlung blieben der Abstimmung fern.

Das Staatsoberhaupt, der Reichspräsident,  war der für eine Amtszeit von sieben Jahren direkt vom Volk gewählte. Der Reichspräsident als Teil der Exekutive verfügte über weitreichende Befugnisse. Die Regierung führte der Reichskanzler, der dem Deutschen Reichstag gegenüber verantwortlich war; der Reichspräsidenten ernannte und entließ die Minister. Als Volksvertretung mit umfassenden Gesetzgebungs-, Budget- und Kontrollrechten wurde der Reichstag für eine Legislaturperiode von vier Jahren nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Die Länder vertrat der Reichsrat. Die geschichtliche Periode der Weimarer Republik lässt sich nach der Gründungsphase in drei Abschnitte gliedern:

In die Jahre von 1918/19 bis 1923: die Republik hatten mit den unmittelbaren Kriegsfolgen, einer Hyperinflationsphase, sowie zahlreichen Umsturzversuchen und politischen Morden zu kämpfen.

In die Jahre von 1924 bis 1929: die Republik erlebte eine Zeit relativer Stabilität, wirtschaftlicher Erholung sowie außenpolitischer Anerkennung.

In die Jahre von 1929 bis 1933: die Republik erlebte Turbulenzen mit ausschlaggebenden Änderungen - die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929 - die Präsidialkabinette nach dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 - und den Aufstieg der Nationalsozialisten.

Die Weimarer Republik endete mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933.

 

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2005, Horst Biehl


 

- Die Weimarer Republik - 1918/19 bis 1923 -

 

Sowohl die gesellschaftlichen, als auch die politischen Entwicklungen, die zur Entstehung der Weimarer Republik führten, wurden wesentlich von den am Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland eingetretenen innen- und außenpolitischen Konstellationen und Kräfteverhältnissen bestimmt. Ausschlag- gebend waren das überraschende Einge- ständnis der militärischen Niederlage durch die Oberste Heeresleitung, als auch die beschleunigte Umwandlung des Herrschafts- systems in eine parlamentarische Monarchie, im Laufe des Oktobers 1918, die von den meuternden Matrosen in Gang gesetzte revolutionäre Bewegung der Soldaten und Arbeiter im November 1918, und die von Seiten der Sozialdemokratie breit befürwortete und durch den Reichsrätekongress im Dezember 1918 beschlossene Errichtung einer parla- mentarischen Demokratie.

Im Reichstag bedurfte der Reichskanzler das Vertrauen der Mehrheit, nicht nur in der Verfassung als strukturelle Neuerung bedeut- sam, sondern widerspiegelte auch in der gegebenen Lage unterschiedliche Motive, man baute, indem man sich den von US-Präsident Woodrow Wilson formulierten Forderungen annäherte, auf mildere Friedensbedingungen.

Der Obersten Heeresleitung aber ging es darum, die Verantwortung für einen gewiss schwierigen Friedensschluss auf die Volksver- treter abzuwälzen.

Als die amerikanische Antwort auf das deutsche Waffenstillstandsbegehren im Kern auf die militärische Kapitulation des Deutschen Reiches und auf die Abdankung des Kaisers zielte, vollzog die Oberste Heeresleitung eine Kehrtwende und befahl den Truppen weiterzukämpfen. Auslösendes Moment der nachfolgenden November- revolution war der Befehl der Seekriegsleitung vom 30. Oktober die Hochseeflotte auslaufen zu lassen, die zwar die Zustimmung von Kaiser Wilhelms II. hatte, nicht aber die des derzeit amtierenden Reichskanzlers Prinz Max von Baden. Anscheinend ging es der Seekriegsleitung darum, die Machtverschiebung im Innern rückgängig zu machen und dem Militär wieder zu jener beherrschenden Stellung zu verhelfen, auf die es einen historischen Anspruch zu haben glaubte.

Die Befehlsverweigerung und Erhebung der Marinesoldaten in Wilhelmshaven und Kiel gegen die sinnlos erscheinende Selbstauf- opferung wurde für ganz Deutschland zu einem Revolutionssignal.

In Norddeutschland wurden vor allem in den Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die der bisherigen Staatsgewalt als neue örtliche Machtorgane gegenübertraten. Bis Ende November 1918 hatten alle 22 Monarchen im Deutschen Reich förmlich abgedankt oder sich abgesetzt. In Bayern wurde bereits am 7. November der Freistaat ausgerufen und eine Räterepublik gegründet. Tragende politische Kräfte der spontanen Rätebewegung waren hauptsächlich die Mitglieder und Anhänger der sozialdemokratischen Parteien MSPD und USPD. Sie erwiesen sich zu lokaler Selbst- organisation fähig, traten mit Forderungen nach Beendigung des Krieges und Obrigkeitsstaats sowie nach Humanisierung der militärischen Disziplin auf und etablierten sich als Ordnungsfaktor neben und anstelle der nicht mehr ausreichend legitimierten und auseinanderbrechenden staatlichen Macht.

In Berlin überschlugen sich am 9. November 1918 die Ereignisse. Zunächst übertrug Prinz Max von Baden sein Reichskanzleramt dem MSPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert – ein Vorgang, der in der Verfassung so gar nicht vorgesehen war.

Am selben Tag rief Eberts Parteifreund Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstags die deutsche Republik auf parlamentarisch-demokratischer Linie aus; etwa gleichzeitig proklamierte der Sprecher des Spartakus- bundes die freie sozialistische Republik. Um das revolutionäre Geschehen unter Kontrolle zu halten, bot die MSPD der USPD die paritätische Beteiligung an einer provisorischen Revolutionsregierung, im Rat der Volksbeauftragten, an.

Friedrich Ebert führte den Vorsitz und verständigte sich mit der Führung Obersten Heeresleitung über die wechselseitige Unter- stützung zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Seine vorläufige Legitimation erhielt der Rat der Volksbeauftragten durch den ebenfalls eilends konstituierten Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin.

Die Grundsatzentscheidung über das künftige politische System in ganz Deutschland fiel auf dem Reichsrätekongress im Dezember 1918, der jeweils mit großer Mehrheit den Antrag am Rätesystem festzuhalten ablehnte, also den Arbeiter- und Soldatenräten die höchste ge- setzgebende und vollziehende Gewalt einzu- räumen, statt dessen für den 19. Januar 1919 Wahlen zu einer verfassunggebenden Natio- nalversammlung anzuberaumen. Zwar hatte man die Organisationsform der Arbeiter- und Soldatenräte aus der Russischen Revolution 1917 übernommen; die Errichtung der bol- schewistischen Diktatur und der daraus entstandene russische Bürgerkrieg aber stellten für die deutschen Sozialdemokraten ganz überwiegend ein abschreckendes Beispiel dar.

Der insbesondere im Spartakusaufstand mobilisierte straßenkämpferische Widerstand

 

gegen die Politik des Rats  der Volks- beauftragten wurde im Januar 1919 mit Hilfe von Freikorpstruppen niedergeschlagen, die politischen Köpfe der Erhebung, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, am 15. Januar 1919 ermordet.

Dass die Verfassunggebende Deutsche Natio- nalversammlung in Weimar zusammen trat, war wesentlich auf die anhaltend unruhige Lage in Berlin zurückzuführen; doch warb Friedrich Ebert für diesen Tagungsort auch mit der Begründung: 'Es werde wohl in der ganzen Welt als angenehm empfunden, wenn man den Geist von Weimar mit dem Aufbau des neuen Deutschen Reiches verbindet.'

Die Weimarer Nationalversammlung hatte zu. sätzlich alle Aufgaben eines Parlaments zu erfüllen. Dazu gehörten bereits im Februar 1919 die Wahl des Reichspräsidenten Friedrich Ebert und die Regierungsbildung. Hierbei konnte noch an die Reichstags- konstellationen zu Zeiten der Oktoberreform 1918 angeknüpft werden, da bei der Wahl der Nationalversammlung die Parteien MSPD, DDP und Zentrum, mit 329 von insgesamt 421 Abgeordneten zunächst eine äußerst komfor- table Mehrheit erreichten.

Auf dieser Basis wurde Philipp Scheidemann erster Regierungschef der Weimarer Republik.

Philipp Scheidemann selbst aber stellte diese Mehrheit auf eine harte Probe, als er sich im Mai und Juni 1919 kategorisch gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrags aus- sprach.

Als sich aber abzeichnete, dass unter dem Druck des Ultimatums der Siegermächte eine Mehrheit auch der sozialdemokratische Abge- ordneten für die Vertragsannahme votieren würden, trat er zurück.

Sein Nachfolger wurde Gustav Bauer.

Der Versailler Vertrag wurde in der Nationalversammlung am 22. Juni 1919 mit 237 gegen 138 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen. Mit der Schlussabstimmung über die Annahme der Verfassung am 31. Juli 1919 und ihrem Inkrafttreten am 14. August endete die Gründungsphase der Weimarer Republik.

Von Anfang war die junge Republik den Angriffen der extremen Rechten und Linken ausgesetzt. Die Linke warf den Sozial- demokraten wegen ihres Zusammengehens mit den alten Eliten Verrat an den Idealen der Arbeiterbewegung vor; die Rechte machte die Anhänger der Republik für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich, verunglimpfte sie als Novemberverbrecher und unterstellte ihnen, sie hätten das im Felde unbesiegte deutsche Heer mit der Revolution von hinten erdolcht; die sogenannte Dolchstoßlegende.

In Berlin ereignete sich 1920 der Kapp-Putsch: Soldaten der Marinebrigade Ehrhardt hissten die Kriegsflagge des Kaiserreichs mit den Farben Schwarz-Weiß-Rot.

Der Kapp-Putsch vom März 1920 stellte die Republik auf eine erste Bewährungsprobe.

Freikorps, welche gemäß Versailler Vertrag aufzulösen waren, besetzten unter der Führung von General von Lüttwitz das Berliner Regierungsviertel und ernannten den ehemaligen preußischen Generallandschafts- direktor Wolfgang Kapp zum Reichskanzler.

Die legale Regierung zog sich zunächst nach Dresden und anschließend nach Stuttgart zurück und rief von dort aus zum Generalstreik gegen die Putschisten auf.  Der Putsch scheiterte rasch, nicht zuletzt an der Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anordnungen Kapps Folge zu leisten. Die Reichswehr hingegen hatte sich abwartend verhalten, gemäß der vom Chef des Truppenamtes Hans von Seeckt vertretenen Devise, dass Reichs- wehr nicht auf Reichswehr bzw. Truppe nicht auf Truppe schieße.

Teile der Arbeiterschaft beließen es im Zuge des Kapp-Putsches nicht bei passivem Widerstand, sondern bewaffneten sich gegen die Putschisten. Speziell im Ruhrgebiet, wo die Unzufriedenheit über ausgebliebene Soziali- sierungsmaßnahmen besonders hoch war, bildeten sich erneut Räte, die eine lokale Machtübernahme anstrebten. Im sogenannten Ruhraufstand kam es zu bürgerkriegsähn- lichen Kämpfen zwischen der Roten Ruhr- armee und Einheiten der Putschisten und nach dem Scheitern des Bielefelder Abkommens zur blutigen Niederschlagung des Aufstands durch entsandte Reichswehreinheiten und Freikorps.

Im Freistaat Bayern dagegen führte der Kapp-Putsch zu einer antirepublikanischen Regie- rungsumbildung, die den Freistaat Bayern auf Dauer zur autoritären 'Ordnungszelle' innerhalb des Weimarer Gesamtstaates machte und zum Sammelbecken der rechtskonservativen und reaktionären Kräfte. Ausdruck der einge- tretenen scharfen politischen Polarisierung waren insbesondere die rechtsradikal moti- vierten Morde von Mitgliedern der Orga- nisation Consul an wichtigen Repräsentanten der jungen Republik: Matthias Erzberger 1921 und Walther Rathenau 1922, die man als willfährige 'Erfüllungspolitiker' in Bezug auf den Versailler Vertrag diffamiert hatte. Während Matthias Erzberger für die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1918 angefein- det wurde, war Walther Rathenau als Außenminister unter anderem für die Repara- tionsproblematik zuständig. Matthias Erzberger hatte zudem durch den mit der Russischen Sozialistischen     Föderativen     Sowjetrepublik geschlossenen Vertrag von Rapallo  die äußere

 

Isolierung  Deutschlands nach  dem  Ersten Weltkrieg  aufzubrechen  gesucht. Doch auch als Jude zog er rechtsextremistischen Hass auf sich. Die in Trauerzügen für die Ermordeten massenhaft bekundete Solidarität zum einen und die Verabschiedung eines Republikschutzgesetzes zum anderen sollten den rechten Feinden des Weimarer Gemeinwesens Einhalt gebieten. Doch die kaiserzeitlich-konservativ geprägte Richterschaft trug mit milden Urteilen gegen ultrarechte Staatsverbrecher dazu bei, dass diese sich von ihrem Treiben nicht dauerhaft abhalten ließen. Die politischen Weichenstellungen, die die Weimarer Republik 1923 an den Rand des Zusammenbruchs brachten, wurden sowohl in der deutschen wie in der französischen Politik gestellt; Frankreich forderte die Abtretung des Rheinlandes vom Deutschen Reich. Die von den Sozialdemokraten geduldete Minderheitsregierung des parteilosen Reichskanzlers Wilhelm Cuno zielte in demonstrativer Fortsetzung des Kurses: 'Erst Brot, dann Reparationen!'.

Obwohl, auf das Zugeständnis der Alliierten, die Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches bei den Reparationen bereits überschritten war, sah der französische Ministerpräsident Poincaré die Nichterfüllung der deutschen Reparationslieferungen als Hebel, um die von englischer Seite in Versailles verweigerte Abtrennung des Rheinlands vom Deutschen Reich doch noch zu erreichen. Nachdem von der Reparationskommission unzureichende  Lieferungen an Kohle festgestellt worden war marschierten am 11. Januar 1923 französi- sche und belgische Truppen ins Rheinland ein. Gegen die Ruhrbesetzung wurde in Abstimmung mit der Reichsregierung vor Ort von deutscher Seite der passive Widerstand organisiert, wobei das Reich ohne produktiven Gegenwert sämtliche Ausfallkosten für die Unternehmen des besetzten Gebietes und deren Beschäftigte zu übernehmen hatte. Während auch die französische Seite bei der Besetzung eher draufzahlte als davon profitierte, entwickelte sich die Finanznot im Deutschen Reich bis zum Sommer 1923 zunehmend dramatisch. Die Finanzierung des Ruhrkampfes und die Kompensation der dadurch bedingten Produktionsausfälle und der Verluste an Steuereinnahmen allein durch Vermehrung des Banknotenumlaufs führten zu einer dramatisch beschleunigten Inflation, in der schließlich das Geld, das man in Form der Papiermark besaß, binnen eines Tages mehr als die Hälfte an Kaufkraft verlor. Angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen bröckelte der Ruhr- widerstand, es kam mit der Rheinischen Republik zu einer wenn auch nur kurzzeitig erfolgreichen Abspaltung radikalisierter Lohn- arbeiterschaft.

In Sachsen und Thüringen führte das zu kommunistischer Regierungsbeteiligung unter sozialdemokratischen Ministerpräsidenten.

Im Reichstag hatten die Sozialdemokraten der Regierung  Wilhelm Cuno unterdessen die Tolerierung versagt und waren in eine Große Koalition unter dem DVP-Kanzler Gustav Stresemann eingetreten. Gustav Stresemann beendete am 23. September 1923 den Ruhrwiderstand, um für die geplante und dringend nötige Währungsreform im Okto- ber/November 1923 einen Erfolg zu ermög- lichen. Zum Umstellungsdatum am 15. November 1923: 1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark bei 4,20 Rentenmark für den Dollar, war der Staat inflationsbedingt praktisch schuldenfrei; hauptsächlich auf Kosten seiner sparfreudigen Bürger. Zu den Inflations- gewinnern gehörten Sachwertbesitzer und diejenigen, die selbst hohe Schulden aufge- nommen hatten; sie konnten ihre Kredite mit entwertetem Geld bequem zurückzahlen.

Von der nationalistischen Rechten vor allem in Bayern wurde der Abbruch des Ruhrwider- stands als Landesverrat gebrandmarkt. Unter dem Bruch der Weimarer Verfassung wurde für Bayern der Ausnahmezustand ausgerufen und die vollziehende Gewalt auf Gustav Ritter von Kahr als Generalstaatskommissar übertragen.

Die Reichswehr unter dem Chef der Heeresleitung General Hans von Seeckt, der in dieser Lage eigene, gegen die Linksparteien und den Weimarer Parlamentarismus gerich- tete Regierungsambitionen entwickelte, verhielt sich nur zu eigenen Bedingungen der Regierung  Gustav Stresemanns gegenüber loyal: Gegen die kommunistischen Regierungsbeteiligungen in Sachsen und Thüringen wurde eine 'Reichsexekution', nach Art. 48 Abs. 1, vollzogen. Gegen Bayern aber war man nicht bereit vorzugehen. Hier wurde durch Gustav Ritter von Kahr im Zusammenwirken mit dem bayerischen Wehrkreiskommandeur Otto von Lossow eine auf den Sturz der Reichsregierung zielende militärische Aktion vorbereitet.

Adolf Hitler, Führer der NSDAP, suchte am 9. November 1923 nach dem Vorbild der italienischen Faschisten unter Benito Mussolini mit einen 'Marsch auf Berlin' die politischen Rivalen in einem Gewaltstreich zu unterwerfen, scheiterte aber. Mit diesem Zerwürfnis der rechtsgerichteten Kräfte untereinander aber war die von Bayern ausgehende Bedrohung der Republik insgesamt vorerst entschärft und der Weg frei für eine Währungsreform, die dem Weimarer Staat neue Chancen eröffnen sollte.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2005, Horst Biehl


 

- Die Weimarer Republik - 1924 bis 1929 -

 

Nach der Ende 1923 abgewendete Katas- trophe der Weimarer Republik lenkte man zu einer vorausschauenden Politik zur inneren Konsolidierung und zur außenpolitischen Verständigung. Mit dem Angriff zur Stabili- sierung der politischen und wirtschaftlichen Lage begann in der Weimarer Republik für Deutschland ein neuer Zeitabschnitt.

Überraschend und unerwartet verstarb Reichspräsident Friedrich Ebert Anfang 1925 als 54-Jähriger infolge einer verschleppten Blinddarmentzündung. In der darauf folgenden Reichspräsidentenwahl 1925 unterlag der Kandidat der von der die Republik tragenden Parteien Wilhelm Marx gegen den Kandidaten der nationalistischen Rechten Paul von Hindenburg. Paul von Hindenburg übernahm das Amt gemäß der Weimarer Verfassung, doch zeigte sein Wahlerfolg, wie weit die Rechtsverschiebung des Wählerverhaltens seit den Weimarer Anfängen bereits fortgeschritten war. So zeigten sich auch bei den Reichstagswahlen im Mai und im Dezember 1924, für die 1919 so komfortabel gestartete Weimarer Koalition, die sich als 'Bollwerk der Demokratie' nur mehr in Preußen behauptete, Misserfolge. In der Bürokratie; an den  Universitäten, vor allem im Heer und in der Justiz standen viele der Republik ablehnend gegen über. Monarchistisch eingestellte Richter entschieden 1926 im Rechtsstreit des Reichs mit den Fürsten, deren Vermögen 1918/19 nicht enteignet, sondern nur beschlagnahmt wurde. Auseinan- dersetzungen mit der Reichswehr belastete die innere Stabilität zusätzlich. Selbstherrlich lud Generaloberst Hans von Seeckt den Kronprinzen Max von Baden zu einem Reichsmanöver ein; Hans von Seeckt wurde daraufhin entlassen. Als die geheime Zusammenarbeit  zwischen der Reichswehr und der Roten Armee bekannt wurde führte dies zum Sturz der Regierung Wilhelm Marx; Reichskanzler.

Trotz dieser Rückschläge gelangten in der Innenpolitik Reformen auf sozialem Gebiet, wo im Zeichen einer wirtschaftlichen Aufwärts- entwicklung der Sozialstaat ausgebaut wurde. Eine wesentliche Grundlage zur inneren Stabilisierung war die Neuregelung der Reparationsfrage durch den Dawes-Plan, in ihm wurden ohne Festsetzung einer endgültigen Gesamtsumme die künftigen jährlichen Zahlungen im Hinblick auf Umfang, Zusammensetzung und Transfersicherung geregelt. Mit der unmittelbaren Einflussnahme auf das Steuer- und Finanzpolitik sollte der amerikanische Finanzexperte und Repara- tionsagent Parker Gilbert die Sicherung der Währungsstabilität gewährleisten. Die Annahme des Dawes-Plans wurde im Reichstag lange hinausgezögert, viele der Rechten sprachen von einer neuen Versklavung des deutschen Volkes, die KPD von der Versklavung nicht nur des deutschen Proletariats.

Nach der Annahme des Dawes-Plans kam ein Zustrom amerikanischer Kredite aus amerikanischen Staatsmitteln wie auch von amerikanischen Privatanlegern, die einerseits als Anschubfinanzierung für die Reparations- dienste, andererseits als wirtschaftliche Wiederbelebungshilfe diente.

In der kurzen Hochphase der gesamtwirt- schaftlichen Erholung und des konjunkturellen Optimismus wurde 1927 die Arbeits- losenversicherung eingeführt, in mancher Hinsicht der 'Höhepunkt des sozialen Ausbaus der Republik'; wenn auch nur einem Teil der Arbeitnehmer die Versicherungsleistungen zugute kamen, konnte eine dauerhafte Arbeitslosigkeit damit nicht erfasst werden. Die ökonomische Konsolidierung nach der Hyperinflation ging aber zum größten Teil zu Lasten der Arbeiterschaft und dem wirtschaftlichen Mittelstand. Der Achtstunden- tag als eine soziale Haupterrungenschaft der Revolution 1918/19 wurde vielfach aufgeweicht und aufgegeben; die Beamtenschaft war von massiven Stelleneinsparungen und Gehalts- kürzungen betroffen; Rationalisierung und Konzentrationsprozesse im großindustriellen Bereich wurden fortgesetzt und entzogen vielen kleinen und mittleren Betrieben die Existenz- grundlage. Die inflationsgeschädigten Sparer und Gläubiger blieben faktisch ohne nennens- werte Entschädigung. Immerhin konnten die als Kleinsparer durch die Inflation Verarmten oder wirtschaftlich Ruinierten ab 1924 eine staatlich organisierte Sozialfürsorge in Anspruch nehmen, die die vormalige Armenhilfe ablöste.

Die in der Weimarer Verfassung enthaltenen sozialstaatlichen Garantieerklärungen standen zu den vielfachen Erfahrungen sozialen Abstiegs in auffälligem Kontrast und entfalteten nur eingeschränkte Wirkung. Das neue System war allerdings gekennzeichnet durch kleinliche Bedürftigkeitsprüfungen einer anonymen Sozialbürokratie und durch nur das Existenz- minimum sichernde Zuwendungen.

Der Parlamentarismus der Weimarer Demo- kratie war Ausdruck einer von Klassen und Sozialmilieus stark geprägten und zersplitterten Parteienlandschaft, in der die Interessenvertretung der je eigenen Wählerklientel der Bereitschaft zum Kompro- miss häufig enge Grenzen setzte. Dieses Klassen- und Standesbewusstsein in den jeweiligen Sozialmilieus gehörte zum Erbe der Kaiserzeit und wirkte fort, wurde aber auch teils

 

überformt von einer sich in den 1920er Jahren ausbildenden konsum- und freizeitorientierten Massenkultur, als deren Triebkräfte neue Medien wirkten: Kino, Rundfunk, Schallplatte. Die Massenkultur wies in Richtung Demo- kratisierung, was man von konservativer Seite als geistige Verflachung und Wertverfall auslegte. Gleichwohl wurden die Klassen- fronten durch die Massenkultur allmählich aufgelockert. Das Bild von den 'Goldenen zwanziger Jahren' reflektiert weniger den sich anbahnenden sozialen Wandel oder gar die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu Zeiten der Weimarer Republik, sondern eine neue Geisteshaltung und Freiheit zu Kunst und Kultur. Unter dem Einfluss der expressio- nistischen Bewegung entfalteten sich eine faszinierende Vielfalt der Stile und ein 'enormer Reichtum an Ideen und Fähigkeiten'. In Kubismus, Futurismus, Dadaismus und anderen -ismen versuchten die Künstler dieser Zeit, sich an Radikalität und Experimentierfreude gegenseitig zu überbieten. Die Stabilisierungsphase der Republik ab 1924 wurde zur Ära der Neuen Sachlichkeit, deren Stil besonders von Vorstellungen und Erzeugnissen der Bauhaus-Kultur geprägt wurde. Hufeisensiedlung Berlin-Britz, 1925, als eine beispielhafte Frühform des 'Sozialen Wohnungsbaus'.

Die ebenfalls auf Kaiserreich und Jahrhundert- wende zurückgehende Entwicklung einer spezifischen Jugendbewegung und Jugend- kultur ging vor dem Hintergrund von Weltkriegserfahrung und Revolution 1918/19 in eine neue Phase über, der ‚verlorenen Kriegsgeneration' folgten die ‚überflüssigen' Nachkriegsgenerationen. Ihnen gemeinsam war die Erfahrung schwierigster Bedingungen beim Einstieg in das Erwerbsleben, überdurchschnittlich häufiger Arbeitslosigkeit und besonderer Schutzlosigkeit in sozial- fürsorgerischer Hinsicht, was nicht zuletzt den akademischen Nachwuchs betraf. Neben der Rebellion gegen die ritualisierte Bürgerlichkeit der wilhelminisch geprägten Elternhäuser wandten sich viele Jugendliche auch gegen die in den zwanziger Jahren Einzug haltende 'Amerikanisierung' des Alltagslebens. Einer romantischen Hinwendung zu Naturerleb- nissen entsprach jedoch nicht einer reaktionären Gesinnung.

In der sozialdemokratischen Jugend ging man ebenso 'auf Fahrt' wie im bürgerlichen Wandervogel und sang zur Klampfe Lieder aus dem 'Zupfgeigenhansl'. Das begünstigte jenes staatsautoritäre und republikfeindliche Denken, das von parlamentarischer Demokratie ohnehin nichts hielt und entweder im Geiste einer konservativen Revolution obrigkeitsstaatliche Lösungen anstrebte oder das Weimarer System durch eine proletarische Revolution zu beseitigen trachtete. Die Schwäche des Reichstags verschaffte zudem den außerparlamentarischen Kampfbünden eine anhaltende Bedeutung und politische Funktion, die neben der Reichswehr fortbestanden. Als wichtigste paramilitärische Formation dieser Art entwickelte sich der Stahlhelm, neben dem in den späteren Jahren die nationalsozialistische Sturmabteilung an Bedeutung zunahm. Um den rechten Wehrverbänden für ihre Machtdemonstrationen die Straßen und Säle nicht allein zu überlassen, schufen die republiktreuen Parteien aus ihren Reihen das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Kampfbund-Gegengewicht. Auf der äußersten Linken stand der Rotfrontkämpferbund.

Die in der Verfassung vorgesehenen plebiszi- tären Elemente, Volksbegehren und Volksentscheid, kamen nur gelegentlich zur Anwendung. Innenpolitisch bedeutsam waren vor allem Volksbegehren und Volksentscheid zur Fürstenenteignung, von der KPD auf den Weg gebracht und von der SPD unterstützt. Die DNVP beschwor im Vorfeld der Abstimmung die Gefahr des Bolschewismus; das rechte bürgerliche Lager sah das Privateigentum als solches gefährdet. Nach diskussionsreicher Auseinandersetzung und Zuspitzung wurde die Alternative 'Republik oder Monarchie' zum Gegenstand einer Abstimmung erklärt, in der tatsächlich nur prinzipielle Erstattungs- ansprüche der durch die Novemberrevolution enteigneten deutschen Fürsten verneint oder bejaht werden konnten. Den Gegnern der Fürstenenteignung verhalf bereits ein Boykott der Abstimmung zum allerdings wenig überzeugenden Erfolg, indem das Quorum nicht erreicht wurde, dass jedoch im Juni 1926 trotz widriger Rahmenbedingungen vor allem im ländlichen Bereich 14,5 Millionen Stimmen (36,4 %) für die Fürstenenteignung zusam- menkamen – zu beträchtlichen Anteilen von Anhängern der bürgerlichen Parteien –, könnte bedeuten, dass eine Bevölkerungsmehrheit für die Republik und gegen die konservativen Eliten stand. 1928 zerbricht die Regierung der Republik an der Frage eines Reichsschul- gesetzes.

Die Reichstagswahl vom Mai 1928 bringt für die Republik noch einmal ein günstiges Ergebnis. Trotz innerer Differenzen tritt die SPD in die Regierung ein, eine Große Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller wurde gebildet. Aber zwischen den Koalitionsparteien bestanden erhebliche Meinungsverschieden- heiten in der Wehrpolitik sowie in Grund- satzfragen der Wirtschaftspolitik.

 

Die Regierung konnte den heftigen Arbeits- kampf in der rheinisch-westfälischen Eisen- industrie im Herbst 1928 zwar schlichten, aber die sozialen Forderungen versteiften sich; die Industrie fordert Steueränderungen zu ihren Gunsten, die Arbeitslosigkeit wächst.

Zu einer Stabilisierung der Weimarer Republik auf parlamentarischer Grundlage hätte nach der Reichstagswahl 1928 die Bildung der Großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller führen können, die von einer Reichstagsmehrheit getragen wurde, dass es dazu nicht kam, lag nur zum Teil an den von vornherein stark divergierenden Positionen von SPD und DVP; ausschlaggebend war jedoch durch die hereinbrechende Weltwirtschafts- krise hervorgerufene Finanzierungsprobleme des sozialen Sicherungssystems, bei denen die Gegensätze unüberbrückbar wurden.

Bei allen Unruhen und innenpolitischer Turbolenzen entstand mit dem umsichtigen und politischen Wirken Außenminister Gustav Stresemanns eine Phase der Stabilisierung. Mit dem von ihm selbst bezeugten Wandel vom 'Herzensmonarchisten' zum 'Vernunftrepubli- kaner' übte  Gustav Stresemann nicht nur als Reichskanzler 1923, sondern während der gesamten Dauer seines Mitwirkens als Außenminister einen stabilisierenden Einfluss auf die politische Entwicklung der Republik aus. Die Lösung aus den Fesseln des Versailler Vertrags strebte Gustav Stresemann aus- schließlich mit friedlichen Mitteln auf dem Wege der Verständigung an, ohne aber langfristige Revisionsabsichten etwa hinsichtlich an Polen abgetretener Gebiete aufzugeben.

Gustav Stresemann ergriff 1925 die Initiative zu den Locarno-Verträgen, erreichte damit die Verständigung mit Frankreich und sicherte Deutschland 1926 eine gleichberechtigte Stellung im Völkerbund; damit führte er die Weimarer Republik aus der Isolation. Mit dem Berliner Vertrag wurde aber auch für ein weiterhin unbelastetes Verhältnis zur Sowjetunion gesorgt.

Bereits seit 1925 gab es eine geheime und illegale Kooperation zwischen der Reichswehr und der Roten Armee, bei der in der Sowjet- union Waffen erprobt wurden, die für Deutsch- land vom Versailler Vertrag verboten worden waren: Flugzeuge, Panzer und Giftgas. Die von der Locarno-Politik deutscherseits erwarteten günstigen Auswirkungen kamen immerhin teilweise auch zustande: Noch 1925 wurde die erste Rheinlandzone geräumt; die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen wurden durch Abkommen ausgebaut; und die interalliierte Militärkommission zur Über- wachung der deutschen Abrüstung verließ 1927 Deutschland. Bei den Verhandlungen zum Briand-Kellogg-Pakt spielte Stresemann 1928 eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den USA und Frankreich.

Als 1928/29 erstmals die Dawes-Plan-Repara- tionsrate in voller Höhe belastend anstand, kam es zu neuen Verhandlungen. Statt der im Dawes-Plan vorgesehenen Annuitt von 2,5 Milliarden Reichsmark sollten nun in den folgenden 59 Jahren durchschnittlich 2 Milliarden gezahlt werden, zu Anfang 1,7 Milliarden. Die Bemühungen um eine Neuregelung der Reparationsfrage trugen zu erheblichen Verschärfung der Auseinander- setzungen bei, die Parteien der Rechten lehnten eine Anerkennung irgendwelcher Reparationsverpflichtungen grundsätzlich ab.

An Stelle des Dawes-Plans von 1924 soll der Yung-Plan treten. Der Dawes-Plan hatte die Politik der Ultimaten und Sanktionen von 1921 abgelöst, seine Orientierung an den wirt- schaftlichen Möglichkeiten Deutschlands leitete eine Entpolitisierung des Reparations- problems ein, war aber mit Eingriffen in die deutsche Souveränität verbunden, von denen der Young-Plan absah. Die Reparationsregelungen, basierend auf den Young-Plan, sahen einen Zahlungsmechanismus vor, den die aufkommende Wirtschaftskrise schon nicht mehr ermöglichte. In dem daraus entstan- denen Young-Plan wurde die Frage einer möglichen Erleichterung verbunden mit dem Vorhaben einer endgültigen Regelung der Reparationsfrage. Infolge entstand abermals eine heftige antirepublikanische Kampanie, die vorwiegend ein von den Deutschnationalen getragenes Volksbegehren gegen den Young-Plan auslöste. Mit der Aussicht auf einen, wie man meinte, endgültigen Reparationsplan und angesichts der deutschen Bereitschaft, eine Dauerbelastung bis 1988 zu akzeptieren, gestand Frankreich in Parallelverhandlungen einen gegenüber dem Versailler Vertrag um fünf Jahre vorverlegten Truppenabzug aus dem besetzten Rheinland zu. Für die nationa- listische Rechte in Deutschland war vor allem die über Generationen sich erstreckende Dauerbelastung propagandistischer Zündstoff in ihrer Agitation gegen die Weimarer Republik. DNVP und NSDAP führten ein knapp erfolg- reiches Volksbegehren und einen an der Abstimmungsbeteiligung überdeutlich schei- ternden Volksentscheid gegen den Young-Plan durch, mit dem die Nationalsozialisten sich allerdings propagandistisch landesweit in Szene setzen und am rechten Rand des politischen Parteienspektrums profilieren konnten. Gustav Stresemann verstarb 1929, das bedeutete das Ende die von ihm geführte stabile Außenpolitik.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

03.06.2005, Horst Biehl


 

- Die Weimarer Republik - 1930 bis 1932 -

 

Die vorausgegangene große Inflation bewirkte mit der Weltwirtschaftskrise, die zweite existenzielle Krise der Weimarer Demokratie. Mit auslösend war die zunehmende Abkehr vom parlamentarischen System, das ab den 30er Jahren, das von agierenden verfassungsfeindlichen Parteien überlagert wurde. Die Hauptaufgaben des Reichstags - Regierungsbildung und Gesetzgebung - wurden überlagert und ersetzt durch Befugnisse des Reichspräsidenten. In den Präsidialkabinetten der Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher wurden die zur Krisenbewältigung als Notbehelf vorgesehenen verfassungskonformen politischen Rechte des Reichspräsidenten, Notverordnungen, Einsetzung des Reichskanzlers, Auflösung des Reichstags, zu Regelin- strumenten, die mehr und mehr in einer demokratiewidriger Richtung zur Anwendung kamen; begünstigt wurde diese Entwicklung in der wirtschaftlichen und sozialen Dauerkrise, steigende Anzahl der Arbeitslosen, einhergehende zunehmende Radikalisierung des Wählerverhaltens, die ab Juli 1932 einen Zulauf zu den republikfeindlichen Parteien NSDAP und KPD erfuhr. Die Machtergreifung der NSDAP, unter der Führung von Adolf Hitler, zeichnete sich ab.

Der Kurssturz an der New Yorker Börse im Oktober 1929,  der Schwarzen Donnerstag, der die Weltwirtschaftskrise eingeleitet hatte, erzeugte in Deutschland besonders gravie- rende Auswirkungen. Die amerikanischen Kapitalanleger, die zur wirtschaftlichen Stabili- sierung der Weimarer Republik auf der Grundlage des Dawes-Plans wesentliches beigetragen hatten, hatten sich bereits seit 1928 bei der Kreditvergabe nach Deutschland zurückgehalten, da die FED (Das Federal Reserve System, heute die US-Notenbank) im Börsenboom von 1928, die Zinsen deutlich angehoben hatte; seitdem war Auslandskapital kaum noch zu erhalten, Kreditmittel wurden zudem in mehreren Wellen abgezogen. Mit der einsetzenden Reduzierung von Geldmitteln stockte der Absatz auf dem Inlandsmarkt. Einsetzende Maßnahmen zur Abschottung gegen ausländische Konkurrenz, stockte ebenso den Absatz im Export. So wurde eine konjunkturelle Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die in einer massiv rückläufigen Produktion zu Massenentlassungen führte und sinkende Kaufkraft den Absatz weiter einbrechen ließ. Im Verhältnis zum Höchststand 1927/28 ging die Industrieproduktion insgesamt um mehr als 43% zurück, die Stahlerzeugung sogar um 65%. Die Investitionstätigkeit kam praktisch zum Erliegen.

Zugleich wurde die anschwellende Arbeits- losigkeit zur wachsenden Belastung und finanziellen Überforderung des sozialen Sicherungssystems, das eben erst um die Arbeitslosenversicherung erweitert worden war. Es stieg die Anzahl der Arbeitslosen von 2,85 Millionen 1929, über mehr als 3,2 Millionen 1930 und annähernd 4,9 Millionen 1931 bis auf über 6 Millionen 1932; nur noch 12 Millionen Menschen arbeiteten regulär. In den von Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Großstädten begegnete man auf der Straße Dauerarbeitslosen mit Schildern: 'Suche Arbeit um jeden Preis'; es gab Menschen auf der Suche nach billigen Schlafplätzen für Stunden, weil sie keine dauerhafte Unterkunft bezahlen konnten; es entstand ein Andrang in Wärmehallen, viele Menschen hatten kein Geld für Heizmaterial.

Im Sommer 1931 ereignete sich der tiefste Punkt in der Kredit- und Staatsfinanzkrise, es entstand ein Ansturm auf die Bankinstitute, wo Gläubiger ihre Einlagen zurückforderten. Nach zwei Bankfeiertagen, am 14. und 15. Juli, konnte durch die Gründung einer Garantiebank und durch eine auf einer Notverordnung durchgesetzte Bankenhaftungsgemeinschaft die Lage mit Hilfe einer verstärkten staatlichen Aufsicht über das Kreditwesen vorläufig stabilisiert werden. Die Zuspitzung war eingetreten, nachdem der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion bekannt geworden war, mit der das im Vertrag von Saint-Germain 1919 festgelegte Anschlussverbot Deutsch- österreichs an das Deutsche Reich unterlaufen werden sollte. Die Pleite der öster- reichischen Creditanstalt bewirkte, dass als Reaktion darauf auch in Deutschland eine erneute Rückrufwelle ausländischen Kapitals die ohnehin gebeutelte Republik heimsuchte. Nach den beiden allgemeinen Bankfeiertagen vom 14. und 15. Juli wurden Abhebungen zunächst nur für dringendste Geschäfte zugelassen, etwa für die Zahlung von Gehältern. Unterdessen wurden die am meisten gefährdeten Banken mit Geld versorgt.

Kredite für die Wirtschaft wurden von Staats wegen verbilligt und die Verzinsung laufender Anleihen reduziert. Mit groß angelegten Interventionen, darunter die Übernahme und Umstrukturierung großer Banken, gelang es der Regierung, den Kollaps des deutschen Finanzsystems zu verhindern. Die fortschreitende Verunsicherung und politische Vertrauenskrise in der Bevölkerung war damit aber nicht behoben worden.

Im März 1930 zerbrach die Große Koalition an der sozialpolitischen Frage, wie die Lasten der unter Kostendruck geratenen Arbeitslosen- versicherung verteilt werden könnten. Nachdem die mit persönlichen Bemühungen des Fraktionsvorsitzenden der Zentrumspartei im Reichstag, Heinrich Brüning, einen Kompromiss zwischen den Koalitions- flügelparteien SPD und DVP gescheitert waren, trat die kaum eingerichtete Regierung mit Hermann Müller am 27. März 1930 zurück.

Schon seit Längerem hatte die Einflussgruppe um  Paul  von  Hindenburg,   führende  Reichs-

 

wehroffiziere wie Kurt von Schleicher, Teile der Schwerindustrie und Großagrarier, nach Wegen gesucht, eine Regierung ohne und gegen die SPD zu etablieren; die damit einhergehende Schwächung des Parlaments war für sie kein Hinderungsgrund, sondern eher ein Ziel.

Bevor Heinrich Brüning am 30. März 1930 die Berufung zum Reichskanzler annahm, ließ er sich von Hindenburg versichern einen unabhängigen politischen Kurs mit Hilfe des Notverordnungsrechts des Präsidenten verfolgen zu können. Am 3. April überstand er mit Hilfe der DNVP einen von der SPD eingebrachten Misstrauensantrag. Heinrich Brüning war von Anbeginn als Regierungschef in einem zunächst noch verdeckten Präsi- dialregime bestrebt, eine Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung und Steuer- erhöhungen zur Deckung des Haushalts eine Mehrheit im Reichstags zu erreichen. Da diese wegen gespaltenen Abstimmungsverhaltens in der DNVP verfehlt worden war, kam die Regierungsvorlage danach noch einmal als Notverordnung des Reichspräsidenten vor den Reichstag, als dieser ebenfalls auf der Grundlage von Art. 48 WRV am 18. Juli 1930 von seinem Recht Gebrauch machte, die Notverordnung außer Kraft zu setzen, verlas Heinrich Brüning noch in derselben Sitzung die vorbereitete Verordnung Paul von Hindenburgs zur Auflösung des Reichstags gemäß Art. 25 WRV bis zu den Neuwahlen am 14. September konnte sich das Notverordnungsregime daraufhin ungehindert entfalten. Der aufsehenerregende Wahlerfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl 1930, für den es allerdings schon Vorzeichen auf Länderebene gegeben hatte, war auf mehreren Ebenen folgenreich.

Die Bildung einer parlamentarischen Mehr- heitsregierung wurde durch das Erstarken der Extremisten immer unwahrscheinlicher. Die zunehmend unsicheren politischen Verhält- nisse führten zu vermehrtem Rückruf und Abfluss von Auslandskapital, was den wirt- schaftlichen Abschwung noch verstärkte. Die Sozialdemokraten, sie hatten nach dieser Wahl noch mehr Reichstagsmandate als die NSDAP, entschlossen sich unter dem Eindruck dieser Entwicklung, Heinrich Brünings Not- verordnungspolitik bis auf Weiteres zu tolerie- ren, um noch Schlimmeres zu verhüten.

Nachdem im Frühjahr 1931 aufkeimende Hoffnungen auf eine konjunkturelle Wiederbe- lebung sich im Sommer mit der Bankenkrise zerschlagen hatten und der Kapitalmangel auch für den Staatshaushalt zu immer größe- ren Defiziten geführt hatte, nahm Heinrich Brünings Austeritäts- und Deflationspolitik immer härtere Konturen an, er erließ in seiner Amtszeit insgesamt vier 'Notverordnungen zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen', darin wurden die Lohn und Einkommenssteuer mehrfach erhöht, ebenso die Umsatzsteuer sowie diverse Verbrauchssteuern; neue Steuerarten wie eine 'Krisensteuer' und eine 'Bürgersteuer' wurden eingeführt.

Gleichzeitig wurde eine rigide Sparpolitik der öffentlichen Hand verordnet, mit der Folge, dass sie auch in

Ländern und Gemeinden fielen als Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen weitgehend aus, es durften keine öffentlichen Gebäude mehr errichtet werden; Mittel für Reparaturen und Anschaffungen wurden nur freigegeben, wenn Menschenleben unmittelbar gefährdet waren. Mit dieser Politik erreichte die Regierung Heinrich Brüning zwar erstmals seit 1914 wieder eine aktive deutsche Handels-bilanz, die Konjunktur aber wurde gleichzeitig abgeschnürt.

Die weiter ansteigenden Zahlen von Arbeits- losen verursachte trotz geminderter Unter- stützungsdauer und in der Höhe abgesenkter Leistungsansprüche bei der Arbeitslosen- versicherung sowie ständiger Kürzungen bei der nachgelagerten Sozialfürsorge fortlaufende Deckungslücken im Staatshaushalt, die auch durch eine radikale Zurückführung der Staats- ausgaben nicht geschlossen werden konnten.

Heinrich Brüning ging von seinem Kurs nicht ab, den er einerseits wegen der zurück- liegenden Inflationserfahrung als alternativlos darstellte und den er andererseits für allein geeignet hielt, das Ausland davon zu über- zeugen, dass Deutschland die Reparationen unter solchen Umständen nicht mehr zu leisten in der Lage sei und dass sie folglich ganz erlassen werden müssten. So brachte auch das Hoover-Moratorium zur Stundung der internationalen Zahlungsverpflichtungen, das im Sommer 1931 parallel zur deutschen Bankenkrise in Kraft trat und die Aussetzung der Reparationszahlungen sowie der interalli- ierten Kriegsschulden auf ein Jahr gewährte, keine Wende in Heinrich Brünings Deflations- politik. Mit der Möglichkeit eines endgültigen Verzichts auf Reparationen rechnete er erst Anfang 1933, nach der nächsten US-Präsidentschaftswahl.

Nachdem im September 1931 Großbritannien den Golddevisenstandard aufgegeben und durch Abwertung des Pfund Sterling seine 'Terms of Trade' verbessert hatte, beschloss die Regierung Heinrich Brüning, die Deflation aktiv zu fördern, um den gleichen Effekt zu erzielen. In der 'Vierten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen' wurden am 8. Dezember 1931 Löhne, Gehälter, Mieten, Kohle- und Kartellpreise sowie Zinssätze abgesenkt und zugleich noch einmal die Steuern erhöht; die Folge war eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen und finanziellen Depression. Eine aktive Konjunkturpolitik blieb aus, über 'fragwürdige Palliative' wie die Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes und geringfügige Notstandsarbeiten kam man nicht hinaus.

 

Dabei verhinderte gerade die über- durchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit die soziale und politische Integration eines beträchtlichen Teils der nachfolgenden Gene- ration und ließ die gesellschaftliche Militanz insbesondere in KPD und NSDAP schnell anwachsen.

Je länger der wirtschaftliche Abschwung anhielt, ohne dass die Regierung von Heinrich Brüning trotz aller verordneten Härten Erfolge erzielte, desto weniger Rückhalt hatte sie in gesellschaftlichen Interessengruppen und in den Parteien, um so mehr war der Reichskanzler Heinrich Brüning aber auf die Gunst des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg angewiesen, musste sich ihm gefällig erweisen, damit bei der anstehenden Kabinettsumbildung im Oktober 1931, mit der eine deutlichere Orientierung ins rechte Spektrum signalisiert werden sollte, ohne dass aber die Tolerierung durch die SPD verspielt werden durfte, dabei kam dem Reichstag in dieser Phase faktisch nur mehr die Rolle zu jeweils nach Erlass eines Notverordnungsbündels den Mißtrauensanträ- gen von rechts und links zu widersprechen; insgesamt 109 Notverordnungen in Heinrich Brünings Regierungszeit standen lediglich 29 vom Reichstag ordentlich verabschiedete Gesetze gegenüber. Auch die Kontrollfunktion des Reichstags wurde drastisch beschnitten, indem durch häufige Vertagungen immer weniger Sitzungen zusammen kamen. Auch gegen die Mitwirkungsrechte der Länder suchte Heinrich Brüning das Präsidialregime abzuschirmen und betrachtete die allgemeine Finanznot als Hebel zu ihrer Entmachtung. Die speziell Sonderstellung Preußens erforderte Rücksichten, die es künftighin durch eine 'Verreichlichung' und durch die Abschaffung des preußischen Landtags abzustreifen galt.

Eine von Paul von Hindenburg favorisierte Erweiterung der parlamentarischen Tolerie- rung des Präsidialregimes nach rechts außen scheiterte am radikal antirepublikanischen Kurs, nicht alleine von der NSDAP unter Adolf Hitler, sondern auch der von Alfred Hugenberg geführten DNVP.

Bei der Bildung der Harzburger Front im Oktober 1931 rivalisierten beide um die Führungsrolle in der 'nationalen Opposition'. Wiederum gemeinsam verweigerten sie Heinrich Brüning die Zustimmung zu dem Plan, Paul von Hindenburgs Amtszeit nach einem Zweidrittelmehrheitsbeschluss des Reichstags um zwei Jahre zu verlängern; ein Verfahren, das zu Friedrich Eberts Gunsten 1923 zustande gekommen war. Paul von Hindenburg musste mangels erfolgverspre- chender anderer Kandidaten von Heinrich Brüning überredet werden, sich mit Unter- stützung der republiktreuen Parteien erneut zur Wahl zu stellen.

Die KPD hatte als Gegenkandidaten Ernst Thälmann aufgestellt, die 'nationale Oppo- sition' mit Theodor Duesterberg für DNVP und Stahlhelm, sowie Adolf Hitler für die NSDAP, hatten gleich zwei Gegenkandidaten auf- gestellt. Als Paul vom Hindenburg die absolute Stimmenmehrheit knapp verfehlte und sich in einem zweiten Wahlgang wieder nur mit Unterstützung der ungeliebten Sozialdemo- kraten gegen Adolf Hitler behaupten konnte, machte er dafür Brüning verantwortlich. Auch widerstrebte dem Reichspräsidenten das von der Regierung mit Blick auf die Boxheimer Dokumente und das offensive Auftreten der NS-Verbände im April 1932 verhängte Verbot von SA und SS, das auch Paul von Hindenburg selbst verschärften Attacken seitens der 'nationalen Opposition' zu widersetzen hatte.

Den letzten Anstoß zur Entlassung Heinrich Brünings gaben die Ostsiedlungspläne seiner Regierung, wonach der Reichsarbeitsminister und der Reichskommissar für die Osthilfe dafür sorgen sollten, dass nicht mehr entschuldungsfähige große ostpreußische Güter vom Staat erworben und zur Ansiedlung landloser Bauern verwendet würden: eine Form der Arbeitsbeschaffung im ländlichen Bereich. Dagegen intervenierten aber die Sprecher der dortigen Großgrundbesitzer bei Paul von Hindenburg, dem Standesgenossen und Eigentümer von Gut Neudeck, bei dem sie nicht umsonst mit Verständnis für ihre Kampagne gegen agrarbolschewistische Ten- denzen bzw. gegen das „Abgleiten in den Staatssozialismus" rechneten.

Die Osthilfe war von 1926 bis 1937 ein agrarpolitisches Unterstützungsprogramm der Reichsregierung und der Preußischen Staats- regierung für die östlichen preußischen Provin- zen. Zur Jahreswende 1932/33 entwickelte sich der brisante Osthilfeskandal. Die mögliche Verwicklung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg könnte bei seiner Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 eine Rolle gespielt haben.

In einer dramatischen Reichstagsrede warnte Heinrich Brüning davor, 'an den letzten hundert Metern vor dem Ziel' innenpolitisch die Ruhe zu verlieren. Paul von Hindenburg aber ver- weigerte den Erlass der Verordnung zur Ostsiedlung und ließ Heinrich Brüning wissen, dass nun für ein rechtsgerichtetes Kabinett auf Reichsebene gesorgt werden müsse, das die Nationalsozialisten zu dulden bereit wären, wenn sie nach ihrem gerade errungenen Erfolg bei den preußischen Landtagswahlen dort in die Regierung kämen.

Indem Heinrich Brüning darin, als Reichs- kanzler wie auch im bloßen Weiterwirken als Außenminister, für sich keine annehmbare Perspektive sah, trat er am 30. Mai 1932 zurück.

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- Das Ende der Weimarer Republik unter dem Einfluss der national-

sozialistischen Machtübernahme 1932 bis zum 30. Januar 1933 -

 

Die Weichen für den Nachfolger Heinrich Brünings als Reichskanzler wurde vornehmlich durch General Kurt von Schleicher gestellt, der seit Ende der zwanziger Jahre zu einem wichtigen Berater Hindenburgs geworden war.

General Kurt von Schleicher hatte sich seinerzeit bereits für Heinrich Brüning als Kanzler verwendet, schlug nun den als hochkonservativ geltenden Zentrumspolitiker Franz von Papen als Reichskanzler vor und traf eine Ministervorauswahl für die Kabinetts- bildung. In der wegen Heinrich Brünings Entlassung aufgebrachten Zentrumspartei kam Widerspruch auf.  Kurzfristig trat Franz von Papen aus seiner Partei aus, und kam damit einem Ausschluss zuvor. Die mit dem 'Kabinett der nationalen Konzentration' firmierende neue Regierung setzte sich betont vom Parteien- parlamentarismus ab. In seiner Regierungs- erklärung wendete sich Franz von Papen gegen die Misswirtschaft der Parlaments- demokratie sowie gegen einen sich ständig steigernden Staatssozialismus und Kulturbolschewismus.

Daraufhin trug man sich im Kabinett mit Plänen für einen Verfassungsumbau, der anstelle des Reichsrats ein Oberhaus mit vom Reichspräsidenten auf Lebenszeit ernannten Honoratioren vorsah und der die Rechte des Reichstags durchgreifend reduzieren sollte; der Angriff richtete sich vor allem gegen Preußen und auf die politische Mitwirkung der Länder. Seit den Landtagswahlen im April 1932 waren hierin die Nationalsozialisten mit Abstand zur stärksten politischen Kraft geworden; eine Mehrheitsregierung aber hätte nur mit der Zentrumspartei gebildet werden können. Otto Braun, Ministerpräsident des Freistaats Preußen, blieb somit im Amt, bei einer Minderheitsregierung und unter den Sozialdemokraten als geschäftsführend für die Regierung der Weimarer Koalition, bis der Altonaer Blutsonntag, an dem eine Demonstration die durch das Franz von Papen-Kabinett wieder zugelassenen SA zu brutalen Zusammenstößen mit protestierenden Kommunisten führte. Damit war der Reichsregierung den Vorwand geliefert, unter Verhängung des Ausnahmezustands, selbst die Kontrolle über Regierung, Behörden und Polizei, über dieses mit Abstand größten und wichtigsten Landes, zu übernehmen. Außenpolitisch konnte Franz von Papen bald den Erfolg verbuchen, der Herrmann Brünings Kurs durchgängig bestimmt hatte, eine dauerhaft entlastende und abschließende Regelung der Reparationszahlungen auf der Konferenz von Lausanne.

Danach erweiterte die Regierung den Finanzierungsrahmen für die betriebliche Arbeitsbeschaffung und erlaubte eine drastische Unterschreitung der Tariflöhne in Unternehmen, die Arbeitskräfte einstellten; so wurde das Kabinett  Franz von Papen im Spätsommer 1932 für die meisten Unternehmer zur Wunschregierung. Bei Lohnempfängern und Arbeitslosen hingegen war die Erbitterung gegen die neue Regierung groß, die vordem bereits die Leistungsdauer der Arbeitslosenversicherung von 20 auf sechs Wochen zurückgenommen hatte und die Arbeitslosen anschließend der Sozialfürsorge überließ, die das Existenzminimum nicht einmal annähernd gewährleistete. Sehr oft konnten Arbeitslose die Wohnungskosten nicht mehr aufbringen, in vielen Familien wurde auch das Ernährungsminimum  deutlich unterschritten.

 

Massenhaft waren 1932 ganze Familien bei der Suche nach Arbeit obdachlos auf der Landstraße unterwegs.

Gleichzeitig verlagerte sich auch die politische Auseinandersetzung verstärkt von den entmachteten Parlamenten auf die Straße, wo neben den rechts- und linksextremen Kampfbünden auch die Eiserne Front der Republiktreuen sich zu behaupten suchte. Im Zeichen der Straßenaufmärsche und gewaltsamen Auseinandersetzungen insbe- sondere zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten stand auch der Wahlkampf für die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, die den untereinander verfeindeten und republik- feindlichen Parteien NSDAP und KPD eine ablehnende Mehrheit im Reichstag ver- schafften. Adolf Hitler, der sich aufgrund des Wahlergebnisses bereits auf dem Sprung ins Kanzleramt wähnte, wurde allerdings von Paul von Hindenburg die Berufung unter Hinweis auf die diktatorische Ausrichtung der NSDAP versagt. Franz von Papen, dem der Reichstag nahezu geschlossen das Misstrauen aussprach, verblieb nach erneuter Reichstagsauflösung im Amt. Doch auch dessen Pläne, den Staatsnotstand auszurufen und vorerst zwecks ungestörter Durchführung einer autoritären Umgestaltung der Verhältnisse erneute Reichstagswahlen unter Bruch der Verfassung nicht anzusetzen, verweigerte sich Paul von Hindenburg.

Als die Reichstagswahl vom 6. November 1932 der NSDAP zwar Verluste statt neuerlicher Zuwächse brachte, an der bisherigen Konstellation aber nichts grundlegend änderte - Adolf Hitler stand nach wie vor als Vizekanzler nicht zur Verfügung -, bot sich der bis dahin im Hintergrund die Fäden ziehende Reichs- wehrminister Kurt von Schleicher mit einem neuen Konzept zur populären Verankerung der Präsidialregierung dem Reichspräsidenten als Kanzler an. Hindenburg ging angesichts der allseits mangelnden Unterstützung für Franz von Papen darauf ein. Kurt von Schleichers Ansatz zielte parteiübergreifend auf die Gewinnung der Gewerkschaften und der jeweiligen Arbeitnehmerflügel in den Parteien, auf eine „Querfront" für eine nun stärker auf Arbeitsbeschaffung und Jugendbeschäftigung gerichtete Politik. Auf den Regierungswechsel von Franz von Papen zu Kurt von Schleicher, der eine sozialere Ausrichtung seiner Politik ankündigte, hatte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund mit Interesse reagiert, denn dadurch schienen sich Möglichkeiten zu eröffnen, die seitens des Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbunds seit Ende 1931 entwickelten Pläne zur Arbeitsbeschaffung zur Geltung zu bringen. Bei der SPD war man damit auf Skepsis gestoßen, während Gregor Strasser für die NSDAP schon im Mai 1932 von der 'großen antikapitalistischen Sehnsucht' gesprochen und ein noch weitergehendes Arbeitsbeschaffungsprogramm gefordert hatte, das dann als 'Wirtschaftliches Sofortprogramm der NSDAP' in hohen Auflagen verbreitet wurde. Mit der Unterstützung durch die christlichen Gewerkschaften setzte Kurt von Schleicher seine Hoffnungen nun auch auf den gewerkschaftlich orientierten Flügel der NSDAP, unter Gregor Strasser, dem er am 3. Dezember die Vizekanzlerschaft und zugleich das Amt des preußischen Ministerpräsidenten anbot. Obwohl die NSDAP tags darauf bei den Landtagswahlen in  Thüringen einen Stimmenverlust   von   mehr

 

als 40 Prozent erlitt, was Georg Strasser in der Meinung bestärkte, dass die NSDAP sich neu orientieren müsse, fügte Georg Strasser sich der Direktive Adolf Hitlers, als der sich seinen Vorstellungen energisch widersetzte, nahm Urlaub und legte alle Parteiämter nieder. Damit war Kurt von Schleicher im Grunde bereits wenige Tage nach Beginn seiner Kanzlerschaft gescheitert, auch wenn Teile des Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbunds eine Annäherung an die Regierung sogar auf Kosten der engen Beziehungen zur SPD weiterhin für wünschenswert hielten. Denn den Sozialdemokraten galt der wendige General als nicht vertrauenswürdig und die Industrieverbände beobachteten argwöhnisch seine Öffnung hin zu den Gewerkschaften. Franz von Papen, den er als Botschafter nach Paris hatte wegloben wollen, war Paul von Hindenburgs Wunsch folgend in Berlin geblieben und nahm neuerlich Kontakt zu Adolf Hitler auf, um Möglichkeiten einer gemein- samen Regierungsübernahme auszuloten. Kurt von Schleicher suchte nun seinerseits mit Unterstützung des Kabinetts Paul von Hindenburg davon zu überzeugen, dass nur die Ausrufung des Staatsnotstands, die Auflösung des Reichstags und der Aufschub von Reichstagsneuwahlen bis zum Herbst 1933 die Krise der Präsidialregierungen zu beenden geeignet sei. Dies verweigerte ihm Paul von Hindenburg aber ebenso, wie er es auf Schleichers Betreiben vordem Franz von Papen verweigert hatte.

Dem Treffen Franz von Papens mit Adolf Hitler im Haus des Kölner Bankiers Kurt von Schröder am 4. Januar 1933 folgten weitere, zuletzt in Anwesenheit Otto Meiners, des Staatssekretärs des Reichspräsidenten, sowie Oskar von Hindenburgs, der als Sohn des Reichspräsidenten ebenfalls zu den Beratern in der Kamarilla Paul von Hindenburgs gehörte; man vereinbarte eine Koalitionsregierung aus Deutschnationalen und NSDAP, der außer Adolf Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten, nämlich Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich (und kommissarischer preußischer Innenminister), angehören sollten. Franz von Papen selbst war als Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen vorgesehen. Der 86-jährige Reichs- präsident, der sich lange gegen eine Kanzlerschaft des 'böhmischen Gefreiten' Adolf Hitler gesträubt hatte, wurde zuletzt mit dem Hinweis beruhigt, dass ein von einer konser- vativen Kabinettsmehrheit „eingerahmter" NSDAP-Führer nur eine geringe Gefahr bedeute.  Für diesen Versuch sprach aber aus Sicht Paul von Hindenburgs nach allem auch die formale Verfassungskonformität der nunmehrigen Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Die Annahme allerdings, Adolf Hitler und die Nationalsozialisten in dieser Regierungskonstellation in Schach halten zu können, sollte sich als folgenschwere Fehleinschätzung erweisen. Denn die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bewirkte in Verbindung mit den weiteren Maßnahmen der sogenannten Machtergreifung faktisch das Ende der Weimarer Republik. Zwar wurde während der gesamten NS-Zeit die Weimarer Verfassung formal nicht außer Kraft gesetzt. Mit der Errichtung der NS-Diktatur endeten aber ihre demokratische Funktion und ihre die Politik bindende Wirkung.

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Adolf Hitler wurde am 30. Januar 1933  vom amtierenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler berufen. Franz von Papen wurde Vizekanzler und Reichskommissar in Preußen; Alfred Hugenberg, Vorsitzender der DNVP, wurde Reichswirtschaftsminister; General Werner von Blomberg wurde Reichswehrminister; Franz Seldte wurde Reichsinnenminister; Herrmann Göring wurde Reichsminister zunächst ohne Geschäftsbereich, dann preußischer Innenminister und bald darauf Reichsministerpräsident.

Am 01. Februar 1933 wurde der Reichstag aufgelöst und am 05. Februar Neuwahlen anberaumt. Am 24. März wurde das Reichsermächtigungsgesetz erlassen - Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich -

In den Monaten Juni und Juli begann die Auflösung aller Parteien. Durch das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien blieb die NSDAP die einzige Partei im Deutschen Reich. Es begann die Zeit der Stabilisierung der NS-Herrschaft, der Reichstag und die Weimarer Verfassung besaßen nur noch dekorative Bedeutung.

 
 

 

 

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- Rückblick -

 

 

 

Der Ursprung der Weimarer Republik entstand nach dem Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918; ihr Anfang begann im Zuge der Novemberrevolution, mit der Ausrufung der Republik am 9. November 1918. Führende Köpfe ihrer Zeit erkannten, dass ein Leben nebeneinander und miteinander auf Dauer nur mit friedlichen und politischen Mitteln erreicht werden könne, man verfolgte die völkerrechtlichen Erkenntnisse und Errungenschaften aus der Französischen Revolution 1789, als auch die Entstehung der Verfassung für das Deutsche Reich 1848/49. In der aufkommenden Räterepublik, der Rat der Volksbeauftragten, die die Regierungsgewalt ausgeübt hatte, wurde auf Beschluss des Reichsrätekongresses am 19. Januar 1919 die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung abgehalten.

Nach den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung am 19. Januar 1919 trat die Weimarer Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Nationaltheater in Weimar zu ihrer ersten Sitzung zusammen, ihre Hauptaufgabe war die Schaffung einer Verfassung mit demokratischer Grund- und Rechtsordnung. Maßgeblich verantwortlich für den grundlegenden Verfassungsentwurf war Hugo Preuß, der spätere Reichsinnenminister. Dieser hatte schon während des Krieges einen Vorschlag für eine demokratisch überarbeitete Verfassung des Deutschen Reiches vorgelegt und war deshalb als Gegner des Obrigkeitsstaates und überzeugter Demokrat bekannt. In der Begründung seines Entwurfs erklärte er: „ . . . das deutsche Volk zu einer sich selbst bestimmenden Nation zu bilden, . . .  die Staatsgewalt liegt beim Volk, . . . das ist der Leitgedanke der freistaatlichen deutschen Verfassung von Weimar."  Der Entwurf führte zu offenen Diskussionen zwischen den verschiedenen politischen Lagern, da er eine tiefe Zäsur gegenüber der politischen Ordnung des Kaiserreichs darstellte.

 

- Dies zeigte eigentlich, dass die Völker in Europa zu rechtsstaatlichen und demokrati- schen Denken noch nicht bereit waren, es fehlte jegliches praktische Denken zu einer parlamentarischen und freiheitlichen Rechtsordnung. -

Die Verfassung hatte schließlich zwar einen grundliegenden demokratischen Charakter, wurde jedoch von vielen als Kompromissverfassung angesehen, zu viele parteiliche, gegensätzlichen Positionen und Interessen erzeugten Widerspruch. An die Stelle der politischen Grundentscheidung traten viele vereinfachte Formelkompromisse, die ein Nebeneinander von Programmen und positiven Bestimmungen nach sich zogen, dem die verschiedenartigsten politischen, sozialen und religiösen Inhalte und Überzeugungen zugrunde lagen.

Der hoch eingestufte Kompromißcharakter erschwerte zwar vielen die Identifikation mit der Verfassung, gleichwohl erzeugte die Konstitution eine Normativität, die am Ende selbst die Nationalsozialisten vor einem offenen Verfassungsbruch zurückschrecken ließ.

Durch die Weimarer Verfassung wurde das Deutsche Reich erstmals eine parlamentarische Demokratie, mit in der Verfassung verankerten liberalen und sozialen Grundrechten. Auf der Ebene des Gesamtstaates wurden die Reichsgesetze von einem auf vier Jahre gewählten Reichstag beschlossen. Dem Reichstag oblag das Recht den Reichskanzler und jeden Minister einzusetzen, so auch durch ein destruktives Misstrauensvotum abzusetzen; ihm oblag auch das Haushaltsrecht. Außer vom Reichstag war der Reichskanzler auch noch vom Reichspräsidenten abhängig, der ihn einsetzen und absetzen konnte. Da der Reichspräsident eine herausgehobene und machtpolitisch potenziell einflussreiche Position innehatte, wird er in der Literatur oftmals dem Kaiser gleichgestellt, man spracht auch vom 'Ersatzkaiser'.

 

Der Reichspräsident wurde auf sieben Jahre vom Volk gewählt und konnte im Einvernehmen mit dem Reichskanzler Notverordnungen erlassen, durch die sogar Grundrechte zeitweilig außer Kraft gesetzt werden konnten. Selbst der mögliche Widerstand des Reichstags dagegen konnte ggf. ausgeschaltet werden, da der Reichspräsident ihm gegenüber das Auflösungsrecht hatte. Die Verfassung basierte auf dem Rechtspositivismus, was bedeutet, dass sie der Verfassungsrevision keine substanziellen Schranken zog.

Ohne die Beteiligung des Reichstages konnte auf dem Gesetzgebungswege mit dem Artikel 76 der Reichsverfassung jegliche Änderungen bewirkt werden: Änderungen von rechtlicher Natur in der Zuständigkeit zwischen dem Reich und die Länder in der prinzipiellen Ausübung von Zuständigkeiten zum Grundrechten, Wahlrecht, Volksentscheiden und Volksbegeh- ren, etc. In  der Weimarer Verfassung wurde auf eine Staatskirche verzichtet; damit war das bis dahin noch geltende 'landesherrliche Kirchenregiment' abgeschafft, nach dem der Landesherr Träger der Regierungsgewalt in der evangelischen Landeskirche war.

- Dem Reichspräsidenten war damit jegliche Möglichkeit gegeben, über die politische demokratische Ebene hinweg Entscheidun- gen zu treffen und durchzusetzen. Man sah bei den alten Haudegen die politische Lösung nicht in der Diplomatie, in der politischen Staatsführung, sondern in der Autorität der Macht, vertreten in der militärischen Heerführung. -

Am 31. Juli 1919 wurde die Weimarer Verfassung schließlich in ihrer endgültigen Form von der Nationalversammlung angenommen und vom Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 11. August in Schwarzburg ausgefertigt. Zum Gedenken an die "Geburtsstunde der Demokratie" wurde dieser Tag zum Nationalfeiertag bestimmt.

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Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

2014, Horst Biehl


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

  

 

 Zeittafel I  - von 1789 bis 1854 -

 

1789

14. 07.

 

 

Sturm auf die Bastille und Beginn der Französischen Revolution.

 

 

 

26. 08.

 

 

Deklaration der Menschenrechte in Paris.

 

 

Um 1800

 

 

 

Herausforderung der alten politischen und gesellschaftlichen Ordnung Mitteleuropas durch die Französische Revolution.

 

 

1803

25.02.

 

 

Reichsdeputationsbeschluss, Säkularisation aller geistlichen Fürstentümer.

 

 

1806

11.07.

 

 

Gründung des Rheinbundes.

 

 

 

06.08.

 

 

Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch Franz II.

 

 

 

14.10.

 

 

Doppelschlacht bei Jena und Austerlitz.

 

 

1807

07.07.

 

 

Friede von Tilsit zwischen Frankreich und Preußen.

 

 

 

30.09.

 

 

Freiherr von Stein ist leitender Minister in Preußen, Beginn der Reformzeit.

 

 

1813

28.02.

 

 

Preußisch-russisches Militärbündnis von Kalisch.

 

 

 

16.10.

bis

19.10.

Völkerschlacht bei Leipzig.

 

 

1814

18.09.

 

 

Eröffnung der Wiener Kongresses.

 

 

1815

08.06.

 

 

Gründung des Deutschen Bundes.

 

 

 

26.09.

 

 

Stiftung der Heiligen Allianz zwischen Rußland, Preußen und Österreich.

 

 

1816

06.11.

 

 

Eröffnung der Bubdesversammlung in Frankfurt am Main.

 

 

1817

18.10.

 

 

Wartburgfest der Deutschen Burschenschaften.

 

 

1818/1820

 

 

 

Moderne Verfassungen in Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt.

 

 

1819

23.03.

 

 

Ermordung des Staatsmannes und konservatinen Schriftstellers August von Kotzebue.

 

 

 

06.08.

bis

31.08

Karlsbader Konferenz, Unterdrückung der liberalen und nationalen Bewegung.

 

 

1820

24.05.

 

 

Verabschiedung der Wiener Schlußakte, Ergänzung der Bundesakte von 1815

 

 

1830

27.07.

bis

29.07.

Julirevolution in Frankreich.

 

 

1832

27.05.

bis

30.05.

Hambacher Fest.

 

 

1833

04.04

 

 

Erstürmung der Frankfurter Hauptwache durch Studenten und Bürger.

 

 

1834

01.01.

 

 

Inkrafttreten des Vertrages über den Deutschen Zollverein.

 

 

1835

07.12.

 

 

Inbetriebnahme der ersten deutschen Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth.

 

 

1847

10.10.

 

 

Treffen gemäßigter west- und süddeutscher Liberaler in Heppenheim.

 

 

1848

27.02.

 

 

Mannheimer Volksversammlung formuliert die Märzforderungen.

 

 

 

07.03.

 

 

Erste revolutionäre Versammlung in Berlin.

 

 

 

18.03.

 

 

Unruhen und Straßenkämpfe in Berlin.

 

 

 

21.03,

 

 

Proklomation König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: "An meine Volk und an die deutsche Nation.

 

 

 

31.03.

bis

03.04.

Tagung des Vorparlaments in der Frankfurter Paulskirche, Beschluß über die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung.

 

 

 

12.04.

 

 

Beginn der republikanischen Erhebung in Baden unter der Führung von Hecker und Struve.

 

 

 

18.05.

 

 

Zusammentritt der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche.

 

 

 

29.06.

 

 

Schaffung einer provisorischen Zentralgewalt, Wahl des Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser.

 

 

 

26.08.

bis

16.09.

Auf Druck der Großmächte schließt Preußen im Konflikt mit Dänemark um Schleswig-Holstein den Waffenstillstand von Malmö, der von der Frankfurter Nationalversammlung zunächst abgelehnt wird, schließlich jedoch angenommen werden muss.

 

 

 

02.11.

 

 

Berufung des konservativen Ministeriums Brandenburg in Preußen.

 

 

 

05.11.

 

 

Auflösung der preußischen Nationalversammlung, Oktroyierung einer Verfassung.

 

 

 

21.12.

 

 

Verabschiedung des Gesetzes über die Grundrechte des deutschen Volkes durch die Frankfurter Nationalversammlung.

 

 

1849

27.03

bis

28.03.

Annahme der deutschen Reichsverfassung in der Frankfurter Paulkirche, Wahl von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum deutschen Kaiser.

 

 

 

28.04.

 

 

Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch den preußischen Kaiser.

 

 

 

Mai

bis

Juni

Reichsverfassungskampagne, Aufstände in Sachsen, Breslau und Baden werden blutig niedergeschlagen.

 

 

 

26.05.

 

 

Bündnis zwischen Preußen, Sachsen und Hannover, Verabschiedung der sogenannten Erfurter Reichsverfassung auf der Basis der preußischen Unionspolitik.

 

 

1850

31.01.

 

 

Inkrafttreten der oktroyierten preußischen Verfassung.

 

 

 

01.09.

 

 

Wiedereröffnung des Frankfurter Bundestages.

 

 

1851

     

Der Deutsche Bund hebt die 'Grundrechte des deutschen Volkes' wieder auf, alle 'verdächtigen' politischen Vereine wurden verboten, Meinungs- und Pressefreiheit wurden durch Zensur und Polizeispitzel eingeschränkt.

 

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Die Zeittafel beinhaltet nicht alle erfolgten Termine geschichtlicher und politischer Ereignisse in den Jahren von 1789 bis 1851.

Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

März 2014, Horst Biehl


  

 

 Zeittafel II  - von 1858 bis 1890 -

 

1858

07. 10.

 

 

Wilhelm (I.) von Preußen übernimmt die Regentschaft für seinen geisteskranken Bruder Friedrich  Wilhelm IV., Beginn der 'Neuen Ära'.

 

 

1859

16.09.

 

 

Gründung des Deutschen Nationalvereins als Organisation der Anhänger eines kleindeutschen Nationalstaat unter preußischer Führung.

 

 

1861

02.01.

 

 

Tod Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Thronbesteigung Wilhelm I.

 

 

1861

06.06.

 

 

Gründung der Deutschen Fortschrittspartei.

 

 

1862

24.09.

 

 

Berufung Otto von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten, Verschärfung des Verfassungskonflikts um die Heeresreform.

 

 

1863

23.05.

 

 

Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Leipzig unter der Führung von Ferdinand Lassalles.

 

 

1864

 

 

 

Preußisch-Österreichischer Krieg gegen Dänemark um Schleswig-Holstein.

 

 

1866

23.08.

 

 

Auflösung des Deutschen Bundes, Anerkennung der Führungsstellung Preußens in Deutschland.

 

 

 

17.11.

 

 

Gründung der Nationalliberalen Partei.

 

 

1867

12.02.

 

Wahlen zum Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes.

 

 

1870

19.07.

 

 

Kriegserklärung Frankreichs an Preußen.

 

 

1871

18.01.

 

 

Proklamation des Deutschen Kaiserreiches in Versailles.

 

 

1875

22.05

bis

27.05.

Entstehen der Sozialistische Arbeiterpartei.

 

 

1878

 

 

 

Kaiser Wilhelm I. wurde bei einem Attentat schwer verletzt.

 

 

 

13.06.

bis

13.07.

Kongreß in Berlin.

 

 

 

18.10.

 

 

Verabschiedung des Sozialistengesetzes durch den Reichstag.

 

 

1879

12.07.

 

 

Verabschiedung der Schutzzollgesetze durch den Reichstag.

 

 

 

07.10.

 

 

Zweibund zwischen den Deutschen Reich und Österreich-Ungarn.

 

 

1880

14.07.

 

 

Milderungsgesetz zum Abbau des Kulturkampfes.

 

 

1883

15.06.

 

 

Annahme des Krankenversicherungsgesetzes im Deutschen Reichstag.

 

 

1884

27.06.

 

 

Einführung der Unfallpflichtversicherung in Deutschland.

 

 

1887

18.06.

 

 

Abschluß der sogenannten Rückversicherungsvertrages zwischen Rußland und dem Deutschen Reich.

 

 

1888

09.03.

 

 

Tod Kaiser Wilhelm I:, Thronbesteigung seines todkranken Sohnes Friedrich III.

 

 

 

15.06.

 

 

Tod Friedrichs III., Thronbesteigung seines ältesten Sohnes Wilhelm II.

 

 

1890

25.01.

 

 

Der Reichstag lehnt eine Verlängerung des Sozialistengesetzes ab; es läuft am 30.09.1890 aus.

 

 

 

20.03.

 

 

Entlassung Otto von Bismarck als Reichskanzler und Ministerpräsident; 'Neuer Kurs' in der Sozial- und Zollpolitik, unter seinem Nachfolger General Leo von Caprivi.

 

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März 2014, Horst Biehl


  

 

 Zeittafel III  - von 1894 bis 1918 -

 

1894

26. 10.

 

 

Entlassung von Reichskanzler Caprivi, Nachfolger Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst.

 

 

1895

21.06.

 

 

Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals.

 

 

1896

01.07.

 

 

Billigung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch den Reichstag.

 

 

1900

01.01.

 

 

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tritt in Kraft.

 

 

1900

17.10.

 

 

Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst trat zurück, wurde Staatssekretär des Äußeren. Bernhard von Bülow wird neuer Reichskanzler.

 

 

1905/06

 

 

 

Erste Marokkokrise zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich.

 

 

1908

Okt.

bis

Nov.

Daily-Telegraph-Affaire, Stärkung der Stellung des Reichtags.

 

 

1909

14.07.

 

 

Bernhard von Bülow trat als Reichskanzler zurück, Theobald von Bethmann-Hollweg wird neuer Reichskanzler.

 

 

1911

 

 

 

Zweite Marokkokrise.

 

 

1914

28.06.

 

Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten in Sarajewo.

 

 

 

28.07.

 

 

Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien.

 

 

 

30.07.

 

 

Russische Generalmobilmachung.

 

 

 

03.08.

 

 

Deutsche Kriegserklärung an Frankreich.

 

 

 

04.08.

 

 

Verletzung der belgischen Neutralität durch deutsche Truppen löst Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich aus.

 

 

 

26.08.

bis

31.08.

Schlacht bei Tannenberg, Vernichtung der 2. russischen Armee.

 

 

1916

29.08.

 

 

Übernahme der Obersten Heeresleitung durch Paul von Hindenburg und  Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff.

 

 

1917

06.04.

 

 

Kriegerklärung der USA an das Deutsche Reich.

 

 

 

14.07.

 

 

Entlassung des Reichskanzlers auf Drängen der Obersten Heeresleitung.

 

 

 

15.12.

 

 

Waffenstillstand zwischen Russland und dem Deutschen Reich.

 

 

1918

29.09.

 

 

Ultimative Forderung der Obersten Heeresleitung nach einem Waffenstillstandsangebot.

 

 

 

24.10.

bis

28.10.

Verfassungsreform, Parlamentarisierung der Reichsexekutive.

 

 

 

28.10.

 

 

Beginn der Meuterei der deutschen Heeresflotte.

 

 

 

03.11.

bis

04.11.

Matrosenaufstand in Kiel.

 

 

 

06.11.

bis

08.11.

Übergreifen der revolutionären Bewegung auf das übrige Reich.

 

 

 

09.11.

 

.

Ausrufung der Republick.

 

 

 

28.11.

 

 

Abdankung Kaiser Wilhelm II. und Verzicht auf die Kaiserkrone Preußens.

 

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Die Zeittafel beinhaltet nicht alle erfolgten Termine geschichtlicher und politischer Ereignisse in den Jahren von 1894 bis 1919.

Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

März 2014, Horst Biehl


  

 

 Zeittafel IV  - von 1918/19 bis 1932 -

 

1918

16. 12.

bis

20.12.

Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin.

 

 

 

23.12.

 

 

Meuterei der Volksmarinedivision in Berlin.

 

 

1919

05.01.

bis

12.01.

Spartakus-Aufstand in Berlin.

 

 

 

17.10.

 

 

Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

 

 

 

19.01.

 

 

Wahl zur Nationalversammlung.

 

 

 

11.02.

 

 

Friedrich Ebert wird von der Nationalversammlung in Weimar zum Reichspräsidenten gewählt.

 

 

 

01.05.

bis

03.05.

Niederwerfung der Münchener Räterepublik.

 

 

 

28.06.

 

 

Unterzeichnung des Versailler Vertrags.

 

 

 

11.08.

 

Verkündung der Weimarer Reichsverfassung.

 

 

1920

13.03.

bis

17.03.

Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin.

 

 

 

30.07.

 

 

Russische Generalmobilmachung.

 

 

 

06.06.

 

 

Reichstagswahl. Die Parteien der Weimarer Koalition verlieren die Mehrheit.

 

 

1921

26.08.

 

 

Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger durch Rechtsradikale.

 

 

1922

16.04.

 

 

Vertrag von Rapallo zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich.

 

 

 

24.06.

 

 

Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau durch Rechtsradikale.

 

 

1923

26.09.

 

 

Abbruch des Ruhrkampfes durch die Regierung Stresemann, Verhängung des Ausnahmezustandes in Bayern, die von der Reichsregierung mit dem

Ausnahmezustand für das Reich beantwortet wird.

 

 

 

08.11.

bis

09.11.

Hitler-Putsch in München.

 

 

 

23.11.

 

 

Sturz der Regierung Gustav Stresemann.

 

 

1924

Juli

bis

August

Annahme des Dawes-Plans durch die Londoner Reparationskonferenz und durch den Reichstag.

 

 

 

07.02.

 

 

Reichstagswahl. Gewinne der SPD und der bürgerlichen Mitte, Beginn einer relativen Stabilisierung der Weimarer Republik.

 

 

1925

28.02.

 

 

Tod von Reichspräsidenten Friedrich Ebert, Wahl von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburgs zu seinem Nachfolger.

 

 

 

01.12.

 

 

Unterzeichnung der Locarno-Verträge.

 

 

1926

24.04.

bis

 

Unterzeichnung des Freundschafts- und Neutralitätsvertrages mit der Sowjetunion in Berlin.

 

 

 

10.09.

 

.

Eintritt Deutschlands in den Völkerbund.

 

 

1928

28.06.

 

 

Bildung einer Großen Koalition aus SPD, Zentrum, DDP und DVP unter dem sozialdemokratischen Kanzler Herrmann Müller.

 

 

1929

07.06.

 

 

Young-Plan zur endgültigen Regelung des Reparationsproblems.

 

 

 

03.10.

 

 

Tod von Reichsaußenminister Gustav Stresemann.

 

 

 

25.10.

 

 

'Schwarzer Freitag' an der Börse in New York. Beginn der Weltwirtshaftskrise.

 

 

1930

27.03.

 

 

Sturz der Regierung von Reichskanzler Herrmann Müller.

 

 

 

30.03.

 

 

Ernennung des Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler.

 

 

 

16.07.

 

 

Erste Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung vonWirtschaft und Finanzen.

 

 

 

14.09.

 

 

Reichstagswahl. Verschiebung der Mehrheit zu Gunsten der NSDAP.

 

 

1931

11.10.

 

 

Bildung der Harzburger Front aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm.

 

 

1932

10.04.

 

 

Wiederwahl von Paul von Hindeburg zum Reichstagspräsidenten.

 

 

 

30.05.

 

 

Rücktritt des Reichskanzler Herrmann Brüning.

 

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Die Zeittafel beinhaltet nicht alle erfolgten Termine geschichtlicher und politischer Ereignisse in den Jahren von 1918/19 bis 1932.

Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

März 2014, Horst Biehl


  

 

 Zeittafel V  - 1932 bis 30. Januar 1933 -

 

1932

01.06.

 

 

Bildung eines Reichskabinetts unter Franz von Papen.

 

 

 

31.07.

 

 

Reichstagswahl. Aufstieg der NSDAP zur stärksten Fraktion.

 

 

 

06.11.

 

 

Rückgang der NSDAP.

 

 

 

17.11.

 

 

Rücktritt des Kabinett Franz von Papen.

 
    03.12.     Ernennung General Kurt von Schleicher zum Reichskanzler.  
 

1933

28.01.     Rücktritt von Reichskanzler Kurt von Schleicher.  
 

 

30.01.

    Ernennung Adolf Hitler zum Reichskanzler.  

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Die Zeittafel beinhaltet nicht alle erfolgten Termine geschichtlicher und politischer Ereignisse in den Jahren von 1932 bis 30.01.1933.

Ein überschaubarer und leicht verständlicher Überblick, zusammengetragen und verfasst auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

April 2014, Horst Biehl


  

 
 
 
 
 
 
 
 
 


 

Die Instanzen unter Reichskanzler Otto von Bismarck

 

Der Reichstag

Der Reichskanzler

   

Der Reichstag, nach der Verfassung von 1871, ging aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen hervor.

Im Wilhelminischen Preußen war der Reichstag neben dem Kaiser die wichtigste Institution der Verfassung. Ein politischer Einfluss beschränkt sich jedoch im wesentlichen auf das Gebiet der Gesetzgebung. Auf Regierungsbildung und Regierungspolitik hatte der Reichstag nur einen begrenzten Einfluss, charakteristisch dafür war die Regierung über den Parteien und das Zurückdrängen der Volksvertretung auf eine Position, in der sie bei entscheidenden politischen Fragen bloß zur unverbindlichen Meinungsäußerung aufgerufen war. Alsbald machte sich Unwille breit, die Ohnmächtigkeit gegenüber der Reichsgewalt lies alsbald das Schlagwort von der Kanzlerkandidatur aufkommen.

 

Die Verfassung von 1871, im Wilhelminischen Preußen entscheidend von Otto von Bismarck geprägt, garantierte ihm als Reichskanzler eine Machtfülle, die vom Parlament und von den Parteien weder kontrolliert noch eingeschränkt werden konnte. Nicht dem Parlament, sondern nur dem Kaiser war Otto von Bismarck als Kanzler politisch verantwortlich.

Das Loyalitäts- und Vertrauensverhältnis zwischen beiden war daher Voraussetzung für dieses Amt, als Amtsinhaber hatte er über die Richtlinien der Politik zu bestimmen: er schlug dem Kaiser die Ernennung und Entlassung der mit der Verwaltung der Reichsämter betrauten Staatssekretäre vor; er führte den Vorsitz im Bundesrat, formell das oberste Regierungsorgan des Reiches; und war während der gesamten Regierungszeit des Kaiserreiches Leiter des preußischen Staatsministeriums.

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Die Reichsämter

Der Bundesrat

   

Die  Reichsämter waren die sich federführenden Ämter oder Behörden des Reiches. Nach der Reichsgründung 1871 existierten mit dem Reichskanzleramt und dem Auswärtigen Amt zunächst nur zwei Reichsämter. Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung des Deutschen Reichs erhielt das Reichskanzleramt als zentrale Behörde immer mehr Aufgaben: das Reichseisenbahnamt (1873); das Reichspostamt (ab 1880); das Reichskanzleramt für Elsa-Lothringen Ministerium für Elsa-Lothringen (ab 1879); das Reichsjustizamt (1877); das Reichsschatzamt (1879). Ihnen stand der Reichskanzler vor.

 

Das Deutsche Reich war ein Bundesstaat, im Sinne eines föderativen Gesamtstaates; die Gliedstaaten hießen ebenfalls Bundesstaaten. Der Bundesrat hatte im Reich die Zuständigkeiten der Gesetzgebung. Nach dem im Wilhelminischen Preußen die Verfassung 1871 neu geordnet und in Kraft getreten war,  entscheidend von Otto von Bismarck geprägt, verlor der Bundesrat in der politischen Funktionalität seine Entscheidungsgewalt an den Kaiser. Politisch konnte nur so viel gestaltet werden, wie die Verfassung dem Reich an einer Zuständigkeit der Gesetzgebung  eingeräumt hatte.

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 Das preußische Staatsministerium

 Der preußische Landtag

   

Das Staatsministerium beinhaltete sämtliche Abteilungen zut Regulierung des preußischen Staates: das Ministerkabinet; das Kriegsministerium; das Ministerium für das Innere und die Gesetzgebungskompetenzen; die Preußische Oberrechnungkammer und den Rechnunghof des Deutschen Reiches; die Reichsbank; die Finanzverwaltung; die Justizkammer; das Ministerium für das Äußere; das Ministerium für Geistliche, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten; das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten; Ministerium für Handel und Gewerbe; Ministerium für Post- und Telegraphenwesen, das Ministerium für Öffentliche Arbeiten: Eisenbahnen, Wasserstraßen, Bauwesen. Präsident des Staatsministeriums ab 1871 war Otto von Bismarck.

 

Die Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses wurden bis 1918 nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt, die Wahlberechtigten wurden nach ihrem Steueraufkommen in jedem Wahlbezirk in drei Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe hatte dabei das gleiche Gewicht. Dies hatte zur Folge, dass der politische Einfluss der Wohlhabenden deutlich größer war, als der der wenig Bemittelten. Die Forderung nach dem gleichen Wahlrecht wurde im Verlauf des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts eines der zentralen Themen in der preußischen Innenpolitik. Das Abgeordnetenhaus war im Vergleich zu der Zeit vor 1848 ein Fortschritt, durch das  Dreiklassenwahlrechts war es keine Ständeversammlung, sondern es entstand eingeschränkt eine Volksvertretung.

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Militär

   

 

 

Das Militär unterstand dem Oberbefehl des Kaisers. Dem Kanzler stand die Generalität in allen militärischen Kommadosachen vor dem Kaiser gegenüber. In der Verfassung ist kein Primat der Politik über das Militär vorgesehen. Politische Entscheidungen konnten nur über den Kaiser ausgeübt werden. So konnte im Vorfeld des Ersten Weltkrieges Generale und Admirale einen entscheidenden Einfluß auf die Politik ausüben.

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Die Parteien des Reichstages

 

 

Als Folge des allgemeinen Wahlrechts wurden aus den losen Fraktionsverbindungen und Wählervereinen, aus der Zeit des Vormärz und mit der Entstehung der Reichsverfassung, Parteien mit fester Organisation auf breiter Basis und mit differenzierten Programmen. Die Reichsverfassung von 1871 ließ den Parteien jedoch nur die Wahl zwischen einer kanzlertreuen Rolle oder Opposition; eine wirkliche Beteiligung an der Macht gab es für sie kaum. So kommt es schon bald zu der problematischen Unterscheidung zwischen bloßem Parteien-Interesse und dem übergeordneten, angeblich allein durch die Regierung wahrgenommenen, Staatsinteresse.

 
     

Die Nationalliberalen

Das protestantische Bildungsbürgertum und das industrielle Großbürgertum waren die Hauptträger der Nationalliberalen Partei. Ihre Ziele: Nationaler Machtstaat und liberaler Rechtsstaat. Eine praktische Ausübung lag jedoch in der Konsolidierung des Machtstaates. Bis 1878 war die Nationale Partei der wichtigste parlamentarische Bundesgenosse Otto von Bismarcks.

Der Linksliberalismus

Konsequenter Ausbau des Rechtsstaates und parlamentarische Monarchie waren die Ziele des Linksliberalismus, für Handwerk und freie Berufe als eine soziale Basis gesehen. Bis 1910 war der Linksliberalismus in die Deutsche Fortschrittspartei und die Deutsche Volkspartei gespalten, erst durch den Zusammenschluss in die Fortschrittliche Volkspartei ist eine gemeinsame Organisation geschaffen worden.

Die Konservativen

Historische Überlieferung und legitimistisches Denken banden die Konservativen an die einzelstaatlichen Dynastien, der Reichseinigung wie auch einer 'deutschen Politik' standen sie skeptisch gegenüber. Erst 1876 fand sich die Mehrheit der preußisch-konservativen Partei mit der Reichsgründung ab. Alternative Gegner Otto von Bismarcks und Neukonservative schloßen sich in der Deutsch-Konservativen-Partei zusammen. Die agrarischen Interessen der Großgrundbesitzer gaben ihr das Profil. Die Landbevölkerung Ostdeutschlands war ihre Wählerschaft.

Die Reichspartei

Konservative Industrielle und Gutsbesitzer, die der Politik Otto von Bismark zustimmten, fanden ihre politische Heimat als 'Freie Konservative' in der Reichspartei, sie bejahten die Bismarcksche Verfassung und ihre unitarischen Elemente, lehnten aber jeden Schritt in Richtung auf eine Parlamentarisierung des Reiches ab.

Das Zentrum

Der politische Katholizismus sah sich durch die Reichsgründung bedroht, das protestantische Übergewicht im kleindeutschen Nationalstaat und der Einfluss liberaler Ideen drängte ihn in die Opposition. Im Kulturkampf erklärte Otto von Bismarck den Katholizismus zum Reichsfeind. Im süddeutschen und rheinischen Raum war der Katholizismus mehr als eine reine konfessionelle Interessenvertretung, starker sozialreformerische Kräfte machten ihn zu einem nicht-sozialistischen Sammelbecken der sozialen Unterschichten.

Die Sozialdemokratie

Der Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein hat seinen Ursprung im Jahre 1863. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei hat ihren Ursprung im Jahre 1869. Beide Parteien schlossen sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterparte Deutschlands (SAPD) zusammen. Von 1891 an trägt die Partei den Namen 'Sozialdemokratische Partei Deutschlands'. Arbeiterproduktiongsgenossenschaften, radikal-demokratische Ziele und gewerkschaftliche Forderungen waren zentrale Punkte des Gothaer Programms der SAPD, das auf Veränderung des deutschen Nationalstaats im Sinne einer inneren Reform zielte; man forderte eine revolutionäre Umgestaltung des deutschen Nationalstaats.

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Die Angaben beschränken sich auf das Notwendigste als Erklärungen von Begriffen auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

März 2014, Horst Biehl


 

 
 

- Das Hoover-Moratorium -

 

Als Hoover-Moratorium wird die Erklärung des US-Präsidenten Herbert C. Hoover vom 20. Juni 1931 bezeichnet. Das Moratorium gibt eine Antwort auf die internationalen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Weltwirtschaftskrise. Mit dem Moratorium war vorgeschlagen worden die Reparationszahlungen  für ein Jahr auszusetzen.

Hoover machte seinen Vorschlag in einer Zeit, in der die Folgen der Weltwirtschaftskrise Europa besonders hart getroffen hatten. Am 11. Mai 1931 brach in Österreich die Creditanstalt zusammen; auch Staat und Wirtschaft in Deutschland bewegten sich am Rand des finanziellen Zusammenbruchs.

Damit waren nicht nur die Reparationszahlungen Deutschlands an die europäischen Siegermächte des Ersten Weltkriegs gemeint, sondern auch die interalliierten Kriegsschulden, die Großbritannien, Frankreich und ihre Verbündeten während des Weltkriegs bei den USA aufgenommen hatten und die sie mit ihren Reparationseinnahmen zurückzuzahlen verpflichtet waren. In Deutschland wurde der Vorstoß des US-Präsidenten begrüßt, da die Regierung Heinrich Brüning in ihm einen Schritt in Richtung auf die Aufhebung sämtlicher Reparationsverpflichtungen aus dem Ersten Weltkrieg sah. Frankreich fühlte sich dagegen von den USA übergangen, da es vorher nicht konsultiert worden war. Erst nach wochenlangen Verhandlungen stimmte die französische Regierung unter Ministerpräsident Pierre Laval zu.

Nach den komplizierten Verhandlungen trat das Moratorium schließlich am 6. Juli 1931 in Kraft.

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- Harzburger Front -

- Boxheimer Dokument -

   

Die Harzburger Front war ein Bündnis antidemokratischer Nationalisten gegen das zweite Kabinett Bürning. Das Bündnis zwischen NSDAP, DNVP, Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten, Reichs- landbund und dem Alldeutschen Verband, hatte nur bei einer Tagung am 11. Oktober 1931 stattgefund. Der Tagungsort in Bad Harzburg war gewählt worden, weil die NSDAP an der Regierung des Landes Braunschweig beteiligt war und Störungen durch Kommunisten, die vor allem in den Großstädten stark waren, nicht zu befürchten waren. Nachdem erste Spannungen bereits in Harzburg selbst spürbar geworden waren, bekämpften sich die beteiligten Gruppierungen kurze Zeit später wieder und traten bei der Reichspräsidentenwahl im März 1932 mit verschiedenen Kandidaten an.

 

Bei den Boxheimer Dokumenten handelte es sich um Pläne für eine gewaltsame Machtbernahme durch die NSDAP.

Sie wurden am 5. August 1931 vom damals 28-jährigen Gerichts- assessor und NSDAP-Funktionär Werner Best verfasst. Benannt wurden sie nach dem Boxheimer Hof bei Bärstadt/Lampertheim, in dem führende hessische Nationalsozialisten im Sommer 1931 dazu mehrere Beratungen abhielten. Beteiligt waren neben Best der stellvertretende Gauleiter Wassung, SA-Stabführer Stavinoga, Wirtschaftsreferent Wilhelm Schäfer und der Pächter des Boxheimer Hofes, Richard Wagner. Die Veröffentlichung der Dokumente schlug in der angespannten innen- und landespolitischen Lage des Herbstes 1931 hohe Wellen.

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- Osthilfe -

- Ogrodzieniec (deutsch Neudeck) -

   

Die Osthilfe war von 1926 bis 1937 ein agrarpolitisches Unterstützungsprogramm der Reichsregierung und der Preußischen Staatsregierung für die östlichen preußischen Provinzen. Zur Jahreswende 1932/33 entwickelte sich der brisante Osthilfeskandal. Die mögliche Verwicklung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg könnte bei seiner Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 eine Rolle gespielt haben.

 

Ogrodzieniec (deutsch Neudeck) ist eine Ortschaft mit 300 Einwohnern in der Gemeinde Kisielice in der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen. Der Ort liegt im Kreis Ilawa und liegt nahe der Landstraße von Ilawa (Deutsch Eylau) nach Kisielice (Freystadt in Westpreuen). Bekannt wurde Neudeck als ländliche Residenz des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der hier am 2. August 1934 verstarb.

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Die Angaben beschränken sich auf das Notwendigste als Erklärungen von Begriffen auf den Grundlagen geschichtlicher Quellen.

März 2014, Horst Biehl